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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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hilf mir festzuhalten und zu glauben. Gott ist unveränderlich und unendlich in seiner Gnade. Im Gegensatz zu den Menschen. Die Menschen vergessen nur schwer. Schlecht kann man sich auf sie verlassen.
    Mama sagte, dass das Haar von hundert Strichen am Tag glänzend wird. Ich stand vor dem Spiegel im Flur des Hauses in Sonnenberg. Ich trug Pantoffeln, und mein Baumwollnachthemd hing mir bis auf die Füße hinunter. Ich hatte es von meiner Cousine in Preßnitz geerbt, dem Städtchen auf der anderen Seite des Bergkamms.
    Während Sigrid mit zehn in die Höhe schoss und ein Schilfrohr blieb, wuchs ich in die Breite. »Meine kleine Bergriesin«, sagte Mama, die selbst auch nicht die Dünnste war. Ich stand im Flur mit der Bürste in der Hand und schaute durch den Spiegel zu Mama. Um ihren Mund spielte ein Lächeln, aber ihre Augen lächelten nicht mit, und die Worte, die sie sagte, klangen scharf wie das Papier meines Hefts, an dem ich mir die Finger geschnitten hatte. Welche Botschaft sandte sie aus? War Mama heute ein pfeifender Vogel, oder war sie ein böser Hund? Warum tat die Bürste so weh? Warum musste es sein? Warum jeden Tag? Konnte ich denn nicht ein Mal auslassen? Oder mir die Haare abschneiden?
    Â»Lange, glänzende, dunkle, verlockende, geheimnisvolle Strähnen.«
    Sagte Mama.
    Â»In denen sich Männerhände verirren.«
    Sagte Mama.
    Â»Das ist der Zweck.«
    Sagte Mama.
    Â»Wer schön sein will, muss leiden, und du weißt, wie sehr dein Vater ein gepflegtes Jungedamengesicht schätzt. Also enttäusch ihn nicht. Nicht wieder, Tine! Sonst übernehme ich die Bürste. Sehe ich da Tränen? Pfui! Wie du dich wieder anstellst. Du weißt, wie viel Kummer du Mama machst. Du weißt, dass ich keine Zeit für solchen Unsinn habe.«
    Ich zerre die Bürste von meinem Scheitel bis zur Mitte meiner Schultern. Ich ziehe mit aller Kraft, der Schmerz grollt aus der Tiefe meiner Kehle empor.
    Nein, ich konnte meinen Mann nicht selbst ins Krankenhaus fahren. Ich hatte keinen Führerschein.
    Karel war dagegen, Doktor Fokkemaat, gegen Frauen am Steuer, und nach dem Krieg war einfach kein Geld da für Fahrstunden.
    Sicher, vor dem Krieg verstand es Karel, Witze zu reißen. Sigrid hat sich kaputtgelacht.
    So sagte er, dass alle Frauen dumm seien und seine besonders. Was für ein Scherzkeks! Seine Zunge genauso spitz wie seine Wangenknochen. An der Theke. Karels Frau ist die dümmste von allen. Haha.
    Natürlich hätte ich die Nachbarn anrufen können, ob sie Zeit hätten, mit dem Auto ins Krankenhaus zu fahren. Aber zwischen ihnen und meinem Mann lief es nicht mehr.
    Dann eben ein Taxi. Aber was würde mich dieser Spaß kosten?
    Ein Krankenwagen, Doktor Fokkemaat? Stand es so schlecht um Karel?
    So viel Geld wollte der Doktor ausgeben für diesen Mann, dem so viele Leute in dieser Stadt und in der Umgebung den Tod wünschten?
    Ich gleite, streiche mit der Bürste über die verfitzten Stellen, behutsam. Speziell für trockenes Haar mit einer Neigung zu Schuppen und Knotenbildung, steht auf dem Schwarzkopf-Fläschchen in der Hoteldusche.
    Welcher Lügenbold hat sich das ausgedacht?
    Massieren Sie das Shampoo in das feuchte Haar ein, bis es schäumt. Lassen Sie es fünf Minuten einwirken. Massieren Sie dann die Kopfhaut mit den Fingerspitzen, und spülen Sie das Shampoo aus. Wiederholen Sie den Vorgang zweimal.
    Die ganze Mühe und Zeit, wofür? Für ein Feld mit Maulwurfshügeln auf meinem Kopf? Derb mache ich sechs, sieben, acht Bürstenstriche hintereinander. Ich ziehe in einem Ruck von oben bis unten durch.
    Warum war Karel eigentlich zurückgekommen? Was hatte er in Delden noch zu suchen, außer dem Büßer­gewand? Warum verschwand er nicht, wie so viele Männer im und nach dem Krieg verschwanden? Arbeits­ein­satz in Deutschland und dort hängengeblieben. So schwer konnte das doch nicht sein?
    Â»Ich wusste nicht, dass es so schlimm werden würde.« Sagte er.
    Â»Meine Frau hier ist deutschsprachig.« Sagte er. Als ob das etwas damit zu tun hätte.
    Â»Es waren schlechte Menschen, die mich auf den falschen Weg gebracht haben, in einer Zeit, in der ich an Nervenanfällen litt wegen der Spannungen im Gemeindeamt.« Sagte er.
    Â»Sie haben mich betrogen.« Sagte er. »Es stimmte hinten und vorne nicht, was sie erzählten. Niemand von der Bewegung hat zum Beispiel

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