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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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Felswand hat man eine Reihe von ärmlichen Arbeiterhäuschen mit moosbedeckten Dächern errichtet. Auf einem der Dächer wachsen Brennnesseln und eine mickrige Birke. Halb auf dem Fußweg steht ein abgekoppelter Anhänger mit einem platten Reifen, dahinter ein spinatgrüner Opel mit ein paar Kindern darin, die am Lenkrad drehen und über die Sitze klettern.
    Â»Wir fahren nach Amerika«, schallt eine Mädchenstimme. »Und wer kommt mit?«
    Â»Amerika? Ich nicht«, murmele ich.
    Â»Er ist nicht da«, zittert Valentine.
    Â»Ja, das sehe ich«, antworte ich. »Doch der Mann von der Geigenbauschule hat mir versichert, dass von Gönnen immer da ist.«
    Â»Aber wir warten schon eine Stunde.«
    Â»Hast du es eilig? Nein, oder? Na also«, sage ich in einem Atemzug. »Dieser von Gönnen scheint nie Urlaub zu machen oder das Haus zu verlassen. Gehen Sie mit Ihrer Geige dorthin, hat dieser Mann von der Geigenbauschule gesagt, mit dem ich mir zufällig in einem ­Steh­café den Tisch teilte.«
    Â»Einem Stehcafé?«, sagt Valentine. »Das kommt davon.«
    Â»Wovon?«
    Â»Von nichts«, sagt meine Schwester und tritt einen halben Meter zurück. »Oh, guck mal, die Frau da winkt uns.«
    Aus dem Haus neben dem des Geigenbauers kommt ein Mann in einer orange-gelb gestreiften Schürze.
    Â»Bist du blind?«, zische ich.
    Der Mann baut sich breitbeinig vor uns auf, die Hände in der Schürzentasche. An den Füßen trägt er Badelatschen. »Was suchen Sie?«, fragt er.
    Â»Wir suchen einen Geigenbauer, einen Herrn van Günen«, beginnt Valentine.
    Â»Von Gönnen«, verbessere ich sie.
    Â»Ich kann keine fremden Leute vor meiner Tür gebrauchen«, sagt der Mann. »Die Straße kommt dadurch herunter.«
    Â»He«, schreit er auf einmal über meinen Kopf hinweg die Kinder an. »Gehört das Auto vielleicht euch? Raus da, aber ein bisschen plötzlich! Ver-dammt-noch-mal!«
    Der Mann tritt einen Schritt auf das Auto zu und macht eine verscheuchende Armbewegung. »Rotzgören«, sagt er vor sich hin. »Den Wagen habe ich gerade erst erstanden. Gebraucht, aber so gut wie neu, zwanzigtausend auf dem Zähler, neue Reifen und eine Batterie. Wie können diese Kinder es wagen, ihn anzutatschen.«
    Die Kinder kriechen aus dem Auto und flitzen johlend davon.
    Â»Die Straße kommt immer mehr herunter«, sagt der Mann, »nicht nur wegen der Kinder, sondern auch wegen der Saisonarbeiter und Zigeuner, die vom Urlaubsgewerbe angelockt werden, mit ihren schmutzigen Sachen und ihren lockeren Händen.«
    Â»Zigeunervolk, sicher«, nickt Valentine.
    Â»Ich sehe überhaupt keine Zigeuner«, sage ich. »In ganz Mittenwald habe ich noch niemanden betteln oder Straßenmusik machen sehen. Alles ist wie geleckt. Und wir sind keine Zigeuner. Und suchen auch keine Arbeit.«
    Â»Es ist ziemlich frisch heute«, sagt Valentine und streckt ihre Hand aus: »Frau van Snitten. Aber eigentlich bin ich eine van Raffelsberger. Genau wie meine Schwester habe ich früher Musik gemacht. Wir sind zusammen aufgetreten.«
    Der Mann ignoriert Valentines ausgestreckte Hand. Stattdessen zeigt er auf die erste Etage von von Gönnens Haus.
    Jetzt erst entdecke ich das zerbrochene Fenster und ein Stück Vorhang, das herausflattert.
    Â»Wohnt von Gönnen da?«, zögere ich.
    Der Mann schüttelt den Kopf. »Bei Nacht und Nebel verschwunden.« Er holt eine Schachtel Zigaretten aus seiner Schürzentasche und zündet sich eine an. Er inhaliert so tief, dass der Rauch in seinem Körper verschwindet wie Wasser in einem Minenschacht. Ein Restwölkchen quillt aus seinem Mund.
    Â»Schon vor einem halben Jahr«, fährt der Mann fort. »Bloß gut, dass er abgehauen ist. Dieser Lärm, den der Kerl immer gemacht hat, Musik nannte er das. Zu jeder Tages- und Nachtzeit.«
    Â»Musik kann in der Tat ziemlich laut sein«, nickt Valentine.
    Â»Nach seinem Auszug wurde es nicht besser. Ein Kommen und Gehen, alle Farben des Regenbogens. Es war das reinste Klein Istanbul hier. Normal reden konnten die nicht, immer nur dieses Geschrei, alte Kühlschränke und Autowracks vor der Tür. Bis ich die Polizei geholt habe. Die hat sie alle rausgeschmissen.«
    Der Mann nimmt noch einen Zug und bläst den Rauch aus, als würde er sich über die Schulter spucken.
    Â»Manchmal muss man Fremde

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