Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
anderes übrig.«
»Letztlich könnte es trotzdem Probleme geben«, warnte der junge Mann. »Für Außenstehende präsentiert sich die Sache nämlich so: Statt einen potentiellen Spion erneut hinrichten zu lassen oder ihn offiziell an mich zu überstellen, lasst Ihr ihn von Eurer Gemahlin verhören. Irgendjemand wird sich mit Sicherheit Gedanken machen.«
»Die Gründe, warum wir ihn nicht ein zweites Mal hinrichten lassen können, kennt Ihr so gut wie jeder andere, Master Hawkes. Und es war Euer Vorschlag, Arkady mit einzubeziehen.«
»Ja«, gab der Erste Spion zu. »Aber das war, bevor sich Prinz Mathu nach Lebec eingeladen hat. Es ist nicht meine Meinung, die hier zählt, Mylord, sondern was der König von dieser Sache hält. Und Euer geschätzter Cousin muss derzeit die krasse Demütigung verarbeiten, dass sich der Thronfolger lieber hier bei Euch in Lebec aufhält als in Venetia bei dem Mentor, den sein Vater für ihn ausgewählt hat.«
Arkady sah ihren Gemahl an, ihr Bück sprach Bände. Aber in Declan Hawkes' Gegenwart verkniff sie sich ein Hab ich doch gesagt.
»Seit er hier ist, hat Mathu sich nicht ein einziges Mal danebenbenommen«, wandte Stellan ein.
»Eine Bilanz, die Fürst Reon noch inkompetenter dastehen lässt.«
»Bin ich beim König in Ungnade?«, fragte Stellan unverblümt. Hawkes’ Art, um den heißen Brei herumzuschleichen, statt auf das Wesentliche zu sprechen zu kommen, ging ihm auf die Nerven.
Hawkes zuckte die Schultern. »Lasst uns sagen, dass sowohl der König als auch der Fürst von Venetia sich der Anwesenheit des Kronprinzen deutlich bewusst sind, ganz zu schweigen von seinem beispielhaften – und recht untypischen – Benehmen in Lebec.«
»Warum hat er nichts gesagt?« ‚meinte Stellan. »Ein Wort von Enteny, und ich hätte Mathu sofort zu Reon nach Veneria geschickt.«
Wie üblich war es Arkady, die das eigentliche Problem erkannte, noch bevor Hawkes etwas erwidern konnte.
»Du hättest es wissen sollen, Stellan«, sagte sie zu ihm. »Das ist es, was den König verärgert hat. Er ging davon aus, dass er überhaupt nichts zu sagen braucht.«
28
Jaxyn Aranville wartete geraume Zeit, bevor er versuchte, Arkady auf dem Ball anzusprechen. Sich ihr schon am frühen Abend zu nähern hatte gar keinen Sinn. Als Stellans Gastgeberin war sie entweder davon in Anspruch genommen, den Legionen von Crasii-Sklaven, die auf dem Ball bedienten, ihre Anweisungen zu erteilen, oder sie begrüßte zusammen mit ihrem Gemahl, Mathu und dem glaebischen Königspaar die Gäste. Für einen Hausgast, dessen einzige Aufgabe an diesem Abend darin bestand, keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hatte sie jedenfalls keine Zeit.
Er sah ihr aus der Ferne zu und sann darüber nach, dass sie eine echte Herausforderung für ihn darstellte. Es waren nicht nur ihre körperlichen Vorzüge, die ihn an ihr reizten. Nein, Arkady bot ihm die Art Herausforderung, die ihm lange nicht mehr begegnet war. Sie verachtete ihn zutiefst. Und das aus dem besten und bewundernswertesten Grund, den es gab: weil sie ihn durchschaute. Was bedeutete, zumindest nach Jaxyns Logik, dass Arkady ihn verstand.
Um ihn zu verstehen, überlegte Jaxyn, musste sie fähig sein, so zu denken wie er. Um seinen unermesslichen Ehrgeiz erkennen zu können, musste sie selbst ähnliche Ambitionen haben. Das war es, was Jaxyn so verführerisch fand. Die Vorstellung, dass sich in der ach so perfekten Arkady eine Seelenverwandte verbergen könnte, hatte bei ihm denselben Effekt, wie wenn man vor einem Kätzchen ein glänzendes Stück Schnur baumeln lässt. Auch wenn sie selbst die Wahrheit nicht erkannte – ihm würde es Spaß machen, ihre Schutzwälle, die sie um sich herum errichtet hatte, nach und nach einzureißen und die Dunkelheit zu enthüllen, die sich dahinter verbarg.
Es war mehr als verführerisch, entschied Jaxyn. Es war geradezu unwiderstehlich.
Eine Unschuld vom Pfad der Tugend abzubringen ist schließlich keine Kunst. Die Selbstgerechten auf Abwege zu führen … nun, das ist einfach unendlich befriedigender.
Jaxyn sah dem bunten Balltreiben lieber zu, als aktiv daran teilzunehmen. Er führte hier in Lebec ein sehr komfortables Leben und hatte nicht vor, das aufs Spiel zu setzen, indem er Stellan bloßstellte. Er hielt sich am Rand des Geschehens auf, lächelte, trank, nickte den wenigen Gästen zu, auf deren Gruß er Wert legte, und mied tunlichst die Freunde der Familie, die unangenehme Fragen über
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