Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
gegen die Wand stieß, fast wie wirkliche Freiheit an.
Der Suzerain, bemerkte Warlock, reagierte erstaunlich auf diese Freiheit. Obgleich er schon seit Wochen im Rückfälligentrakt hockte, zeigte Cayal keine der typischen Auswirkungen der Haft wie das Dutzend andere Häftlinge. Seine Hautfarbe blieb frisch, sein Gewicht hatte sich trotz der schlechten Gefängniskost nicht verändert. Weder fiel ihm das Haar aus, noch wuchs es in Korkenzieherlocken nach, ein sicheres Anzeichen von Skorbut. Seine Muskeln blieben straff, die Augen klar, er zeigte keine Spur von blutendem Zahnfleisch oder lockeren Zähnen, und er bewegte sich nach wie vor geschmeidig und mit Leichtigkeit, offenbar nicht von schmerzenden und steifen Gelenken geplagt wie so viele andere Gefangene, die auf dem Gefängnishof herumschlurften und versuchten, ihre müden Glieder in Gang zu bekommen.
Aber warum sollte er auch, dachte Warlock. Die Suzerain sind immun gegen die Krankheiten, die normale Menschen heimsuchen.
»Was starrst du so, Gemang?«
Keuchend erhob sich Warlock, als der Suzerain sich ihm näherte. Eben war er ein dutzend Mal rund um den Hof gerannt und erholte sich gerade, bevor er die Übung wiederholte. Er war entsetzt darüber, wie die erzwungene Unbeweglichkeit ihn bereits geschwächt hatte.
»Nichts.«
»Ich wette, ich weiß, was dich umtreibt«, meinte Cayal und wies mit dem Kinn in Richtung des nächsten Wächters über ihnen.
Aus dieser Nähe konnte Warlock den Gezeitenfürsten deutlich riechen. Sein Geruch erfüllte die Luft, stark und gefährlich … eine klare Warnung für jeden, der die Zeichen zu deuten wusste. Und Warlock war nicht der einzige Crasii, der die Gefahr spürte. Er sah zu dem Laufgang hinauf. Offenbar hatten die Wächter heute Morgen Schwierigkeiten mit ihren Feliden. Schon die ganze Zeit, seit Cayal in den Hof getreten war. Nur Warlock und Cayal verstanden den Grund. Die Menschen dachten einfach, die Feliden seien launisch.
»Deine Anwesenheit macht sie unruhig«, bemerkte Warlock.
Der Suzerain lächelte und sah zum Laufgang hinauf. »Wie war s mit ein wenig Spaß?«
»Was genau verstehst du unter Spaß?«
»Würde es nicht Spaß machen, eine dieser Feliden mal ordentlich durch den Hof zu jagen?«
Warlock musste grinsen. Der Suzerain hatte recht. Es würde riesigen Spaß machen, eine Felide zu jagen. »Aber dazu müsstest du erst mal eine hier herunterbekommen.«
»Kein Problem.«
Warlocks Lächeln schwand. »Und sobald ich auf die Felide zuspringe, verpasst mir eine der Wachen einen Armbrustbolzen.«
»Wie war’s also?«, meinte Cayal mit einem genialen Lächeln. »Bei diesem Spielchen kommen hier alle auf ihre Kosten.«
Warlock kehrte dem Gezeitenfürsten den Rücken zu. »Such dir einen anderen Zeitvertreib, Suzerain. Einen, der nicht auf meine Kosten geht.«
»Wage es ja nicht, mir den Rücken zuzukehren, Gemang.«
Warlock erstarrte. Cayals Befehl jagte ihm einen Angstschauder durch den Körper. Es war nicht so sehr, was er gesagt hatte, als sein Tonfall. Und die alte Sprache, in der er gesprochen hatte. Der Befehl summte in Warlock, als sei sein Körper eine Harfensaite, die jemand angeschlagen hatte.
Bevor er wusste, was er tat, drehte Warlock sich wieder zu Cayal um.
»Mein Gebieter«, hörte er sich sagen.
Der Gezeitenfürst nickte befriedigt. »Schon besser. Nun verbeuge dich vor mir, Gemang. Zeige der ganzen Welt, wer hier wirklich der Herr ist.«
Warlock schüttelte den Kopf, entsetzt, wie leicht es ihm fiel, den Befehl zu verweigern. Nach allem, was man ihn gelehrt hatte, und laut jedem seiner Instinkte sollte er eigentlich gar nicht in der Lage sein, dem Gezeitenfürsten etwas abzuschlagen. Er sollte nicht einmal fähig sein, daran auch nur zu denken.
»Du bist Vergangenheit, Suzerain«, erklärte er trotzig. »Du hast keine Macht mehr über mich oder mein Volk.«
»Ich kann dich zwingen«, warnte Cayal leise. Niemand beachtete ihre Auseinandersetzung, die anderen Gefangenen waren zu sehr mit ihrer Körperertüchtigung beschäftigt, und die Wachen oben im Laufgang versuchten immer noch, die unruhigen Crasii zu besänftigen.
»Kannst du eben nicht, zumindest nicht jetzt«, sagte Warlock und stieß ein tiefes, kehliges Knurren aus. Seine Zuversicht wuchs mit jedem Moment, in dem er seinem instinktiven Crasii-Trieb trotzte, Cayals Befehlen blind zu gehorchen. »Wir haben kosmische Ebbe. Wenn du irgendwelche Macht hättest, wärst du nicht hier. Du wärst dabei, die ganze Welt zu
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