Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
einen Versuch wagte, die Straßen waren überfüllt und niemand hier, weder Mensch noch Crasii, schuldete ihm einen Gefallen.
»Wer ist dein Herr?«, verlangte der Kommandeur zu wissen.
Warlock zog vorsichtig seine kostbare Begnadigung aus dem Riemenbeutel, der an seiner Schulter baumelte. Er hatte sie nicht ein Mal aus der Hand gegeben, seit er sie von Lady Desean bekommen hatte. »Ich bin ein freier Crasii.«
Der Kommandeur machte einen Schritt nach vorn, entriss ihm das Schriftstück und trat wieder zurück, damit der Bogenmann ein freies Schussfeld hatte. Er entfaltete das Papier, las es durch und sah dann stirnrunzelnd auf.
»Warlock, Zucht von Bella, gedeckt von Segura«, sagte er. »Ich würde sagen, du bist genau der, den wir gesucht haben.«
»Aber ich habe nichts getan«, protestierte er der Form halber nochmals. Warlock wusste, dass Widerstand sinnlos war, aber er fühlte sich verpflichtet, seine Unschuld zu beteuern. Und er wollte sein Begnadigungsschreiben zurückhaben. Der Regen fiel auf das Dokument, große Tropfen verwischten die Tinte. Wenn sie hier stehen blieben und der Kommandeur es lange genug in den Regen hielt, würde seine Freiheit regelrecht weggespült werden.
»Sicher, du hast nichts getan«, erwiderte der Kommandeur skeptisch, faltete die Begnadigung zusammen und steckte sie in seinen Mantel. »Ich nehme an, deshalb hat man uns auch losgeschickt, um dich zu suchen, nicht wahr?«
»Und nachdem Ihr mich nun gefunden habt, was habt Ihr mit mir vor?«
Warlocks gutes Gehör vernahm, wie jemand unter den Schaulustigen bei dieser Unverschämtheit scharf Luft holte. Er blickte zur Seite und sah eine weibliche Canide, die einen großen Webkorb an ihre Brust drückte. Sie stand links von ihm und verfolgte die Vorgänge interessiert, ein gut gebautes Geschöpf mit einem rötlichen Fell unter der einfachen Leinenkleidung, die unter den Stadt-Crasii üblich schien. Ihre buschige Rute hing unbedrohlich herab. Sie war kaum mehr als ein Welpe, schätzte er, als ihre dunklen Augen sich mit Besorgnis um ihn füllten. Dann umringte ihn die Stadtwache, die hübsche Canide war plötzlich verschwunden, und an ihrem Platz stand ein Uniformierter.
Der Mann trat näher, musterte Warlock und legte die Hand an den Griff seines Schwertes.
»Du kannst mit uns kommen, oder wir schleifen deinen bewusstlosen Kadaver durch die Gosse«, teilte der Kommandeur ihm nüchtern mit. »Du hast die Wahl, Köter.«
Warlock hasste es zutiefst, Köter genannt zu werden, beinahe so sehr, wie er die Bezeichnung Gemang verabscheute. Er musste das Knurren unterdrücken, dass ihm auf den Lippen lag.
»Ich komme mit.«
»Weise Entscheidung«, sagte der Kommandeur beifällig.
»Wo bringt Ihr mich hin?«
»Zur Wache.«
»Bin ich verhaftet?«
»Nicht, wenn du ruhig mitkommst.«
Warlock sah die Wachleute an, die ihn umzingelt hatten, und nickte langsam. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er gerade seinem eigenen Tod zugestimmt hatte, nur um keine Szene zu machen. Vielleicht war es die Armbrust, die er fürchtete. Nicht so sehr seinetwegen, sondern aus Sorge, das gefährliche Geschoss könnte einen Unschuldigen treffen wie das junge Mädchen, das bei seinem Wagemut nach Luft geschnappt hatte. Warlock wusste es selbst nicht genau.
»Wie Ihr wünscht.«
»Braves Hundchen«, murmelte einer der Wächter hinter ihm und gab ihm einen Schubs.
Warlock stolperte auf dem nassen, schlüpfrigen Kopfsteinpflaster vorwärts und knurrte leise vor sich hin. Aber er ließ die Bemerkung durchgehen und folgte dem Kommandeur durch die rasch dunkler werdenden Straßen auf dem Weg zur Wache.
Es gab eine Zeit und einen Ort, wo Männer, die solche Bemerkungen machten, zur Verantwortung gezogen werden konnten, aber dies war weder die Zeit noch der Ort.
Und Warlock musste jetzt zunächst mal diesen unerwarteten Umweg überleben.
Die Stadtwächter, die Warlock zur Wache eskortierten, erwiesen sich als regelrechte Ehrenmänner verglichen mit den Leuten, die ihn dort in Gewahrsam nahmen, während die Patrouille weiterzog. Sobald Warlock die Wache betrat, drosch man ihm mit einem Knüppel auf den Rücken, bis er auf dem harten Steinboden in die Knie ging. Es war bereits dunkel geworden, und tropfende Fackeln erhellten die Wache. Mit Prügeln, guten Worten und Drohungen verfrachtete man ihn in eine Zelle unweit des Eingangs und ließ ihn schließlich in Gewahrsam von zwei Männern zurück, die auf ihn aufpassen sollten. Sobald sich die
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