Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
machte alles einen noch schlimmeren Eindruck als letzte Nacht im Feuerschein. Das Gebäude war schäbig, das hohe Gebälk voll mit Jahre alten Spinnweben und dicken Lagen Staub. Das meiste Tageslicht fiel durch Risse in den Wanden herein, wo die Täfelung abgefallen war, als die Nägel wegrosteten. Das Lagerhaus war jetzt fast leer, nur ein paar Frauen hielten sich noch hier drinnen auf, hauptsächlich wohl Mütter kleiner Welpen.
Warlock stand auf und überlegte, wo der nächste Ausgang war. Der Geruch hier sagte ihm, dass eine Verunreinigung der Schlafplätze offensichtlich nicht geduldet wurde, was ihn erleichtert aufatmen ließ. Seit Boots ihm erzählt hatte, dass es für Streuner üblich war, im Müll der Stadt nach Nahrung zu suchen, befürchtete er das Schlimmste. Aber Rex sorgte alles in allem für einen überraschend sauberen Bau. Als eine der Frauen vom Führungsrudel bemerkte, dass er wach war, deutete sie mit dem Kopf nach rechts. Offenbar hatte sie erraten, wonach er Ausschau hielt. Er folgte dem Hinweis und erspähte eine kleine Tür. Er bedankte sich mit einem Nicken und eilte nach draußen, wo er feststellte, dass es in dem kleinen Hof auf der Rückseite des Lagerhauses an einem Zaun richtig anständige Latrinen gab.
»Wir sind keine Tiere, weißt du«, sagte Boots, als er aus der kleinen Kabine kam, die zwar keine Tür, aber immerhin einen Sack vor dem Eingang hängen hatte, um wenigstens den Anschein von Ungestörtheit zu wahren.
»Das habe ich auch nie behauptet.«
»Du ziehst aber so ein Gesicht«, warf sie ihm vor. »Ich glaube, du hast etwas von einem Snob, Warlock, Zucht von Bella, gedeckt von Segura.«
Warlock runzelte die Stirn. Er hatte sich selbst noch nie so betrachtet. Andererseits war er vorher auch noch nie in so einer Situation gewesen. »Ich … ich hätte nur nie gedacht, dass ich mal so leben würde.«
»Was meinst du mit so leben? So frei?«
»Ich hätte gesagt, so arbeitslos.«
Sie lächelte und kam ein bisschen näher. Nicht einmal der Geruch der Latrinen konnte ihren Duft überdecken. Wenn es gestern hart gewesen war, sich in ihrer Nähe zu konzentrieren, so war es heute nahezu unmöglich. Binnen weniger Tage, vielleicht sogar nur Stunden würde sie voll in der Hitze stehen und endlich einen Partner wählen. Nur gute Manieren und heldenhafte Selbstbeherrschung hielten ihn davon ab, sich auf sie zu stürzen und sie anzuflehen, ihn als Partner zu nehmen.
»Arbeitslos, ja?« Sie kicherte. »Hab noch nie gehört, dass man die Freiheit so bezeichnet.«
Er begehrte dieses Mädchen mehr als Luft zum Atmen, aber dass gab ihr nicht das Recht, ihn zu verspotten. »Du hast gesagt, du bist im Palast von Lebec aufgewachsen. Du kannst doch nicht wirklich glücklich sein, so zu leben? Im Müll nach Essen zu stöbern? In einer solchen Bude zu schlafen mit Dutzenden verschiedener Rudel, von denen man nicht mal weiß, welchen Stammbaum sie haben …«
»Ich hatte recht, du bist wirklich ein Snob.«
»Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Brauchst du nicht«, versicherte sie ihm. »Ich sorge schon selbst für mich.«
»Wenn du dieses Leben hier so nennen willst.«
»Besuch mich, wenn du eine Woche nichts zu essen hattest«, schlug sie vor. »Du könntest feststellen, dass sich deine Einstellung ein wenig lockert. Aber einstweilen hast du erst mal Glück.«
»Wie … Glück?«
»Shalimar will dich sehen«, sagte sie. »Er wird uns verköstigen.«
»Normalerweise würden wir eine Weile warten, bevor wir dich hierherbringen«, teilte Shalimar Warlock mit, als sie sich zum größten Frühstück hinsetzten, das Warlock je gesehen hatte, seit er Lord Ordrys Anwesen verlassen hatte. »Aber angesichts deiner Neuigkeiten über den unsterblichen Prinzen denke ich, es ist das Risiko wert.«
Shalimar war ein Mensch, was Warlock überraschte. Er hatte auf jeden Fall mit einem Crasii gerechnet und am ehesten mit einem Caniden. Auf diesen lebhaften alten Mann mit den leuchtenden, hellen Augen, die so gar nicht zu seiner dunklen Haut passten, war er nicht gefasst. Warlock konnte weder einschätzen, welcher Rasse er angehörte, noch seinen Dialekt einordnen, was ihn ein bisschen störte. Doch Shalimar bat sie freundlich in seine unaufgeräumte kleine Wohnung. Und dann tischte er ein Festmahl auf, das Warlocks Aufmerksamkeit so sehr fesselte, dass er darüber fast den Duft vergaß, den seine Begleiterin verströmte.
Boots hatte sich geweigert, Fragen über Shalimar zu beantworten, während sie
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