Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
wieder der Frau des Gastwirts zu.
»Unsere Pferde benötigen Futter und Stallung.«
In der Gewissheit, dass meine Anweisungen auf nichts als blinden Gehorsam stießen – verehrt zu werden empfinde ich meist als lästig, aber es hat auch seine nützliche Seite –, wandte ich mich ab, ließ die Frau nervös gaffend stehen und ging in die Richtung, in der Fliss und Amaleta verschwunden waren.
Jaxyn war mir einen Schritt voraus. Ich fand ihn drinnen vor, wie er sich an einem eisernen Becken mit glühenden Kohlen die Hände wärmte. Offensichtlich hatte er bereits unser Abendessen bestellt. Die jüngeren Töchter des Hauses beeilten sich, den Tisch zu decken, und warfen uns über die Schultern ängstliche Blicke zu, weil wir ihnen bei der Arbeit zusahen.
Das Gasthaus war für ein so kleines Dorf ziemlich stattlich. Es war eine schlechte Kopie magrethinischer Architektur aus dem grauen Stein dieser Region. Die fensterlosen Wände boten Schutz vor der Außenwelt. In der Mitte gab es ein kleines, etwas schäbiges Atrium mit einem kaputten Springbrunnen. Soweit ich mich erinnere, lagen rings um das Atrium etliche schmale Alkoven, wie man sie sonst in deutlich vornehmeren Einrichtungen findet, mit Liegen und niedrigen Tischen zum Entspannen, wo die Stammgäste ihr dunkles, meist warmes tenatisches Bier trinken konnten, von dem ich immer fand, dass es schmeckt wie Pferdepisse.
Ich nehme an, das Gasthaus war hastig von allen Stammgästen geräumt worden, um für uns Platz zu schaffen.
»Wo ist Fliss?«, fragte Jaxyn, als ich kam.
»Folgt dem Ruf der Natur.«
Jaxyn wirkte belustigt. »Ich wette, daran hast du im Traum nicht gedacht. Überhaupt scheinst du nicht viel nachgedacht zu haben, was dieses Kind angeht. Was im Namen der Gezeiten hat dich geritten, sie aus dem Palast zu holen? Konntest du dich nicht dazu durchringen, die Aufgabe vor Publikum zu erledigen? Oder wolltest du noch ein bisschen Spaß mit ihr haben, bevor du sie erledigst, und hattest Angst, dass Arryl Einspruch erhebt?«
Ich schüttelte verwundert den Kopf. Den Perversionen, die Jaxyn sich ausdenken kann, sind einfach keine Grenzen gesetzt. »Warst du eigentlich schon so krank, bevor du unsterblich wurdest, Jaxyn, oder ist das etwas, woran du seitdem gearbeitet hast?«
»Ein bisschen von beidem«, antwortete er heiter, nicht die Spur beleidigt. » Was hast du mit diesem elenden Kind vor? Selbst wenn du bloß die Absicht hast, ihr die letzten Tage angenehm zu gestalten, was weißt du denn schon über Kinder? Du hast keine Bediensteten, die sie betreuen. Hast du vor, dich selbst um sie zu kümmern?«
»Ich arbeite etwas aus«, versicherte ich ihm. Der Plan war gewesen, Fliss zur Küste zu bringen, wo Arryl uns treffen würde. Nur konnte das jetzt so nicht laufen – nicht mit Jaxyn in unserer Gesellschaft. Und so sehr es mich ärgerte, ich musste mir eingestehen, dass er recht hatte. Ich wusste überhaupt nichts über Kinder, weiß immer noch nicht viel. Ungeachtet meiner Prahlerei, dass wir eigentlich gut in allem sind, ist das ein Bereich von Verantwortung, um den ich mich die letzten achttausend Jahre geschickt herumgedrückt habe.
»Du musst etwas unternehmen, Cayal.«
»Was schlägst du vor?«
»Ich schlage vor, du tust, was du Syrolee zugesagt hast, und bringst es zu Ende. Andernfalls besorg ihr ein Kindermädchen. Ein menschliches Kindermädchen, wenn es sein muss, angesichts deiner offensichtlichen Abneigung gegen Crasii.«
»Du hättest diesen brillanten Vorschlag machen sollen, als wir in Libeth waren. Wir hätten die Sklavenmärkte aufsuchen können, ehe wir abreisten.«
»Hätte ich gewusst, dass du die Aufgabe nicht umgehend erledigst, hätte ich das getan.«
»Dann muss ich eben jemanden finden, der sich um sie kümmert.«
»Nun, was auch immer du tust, tue es bald, Cayal. Weder du noch ich haben die leiseste Ahnung, wie man sich um kleine Mädchen kümmert.«
»Was mich zu einem anderen Problem bringt.«
»Und das wäre?«
»Wer hat dich überhaupt aufgefordert, mitzukommen?«
Bevor Jaxyn antworten konnte, hüpfte Fliss in den Raum, dicht gefolgt von Amaleta. Sie steuerte direkt auf den Tisch zu und starrte das Essen zweifelnd an.
»Kann man es gefahrlos essen, Onkel Cayal?«, fragte sie.
»Ich bin ziemlich sicher, dass es völlig gefahrlos ist«, versicherte ich ihr.
Zufrieden, dass sie nicht drauf und dran war, vergiftet zu werden, begann Fliss mit dem Enthusiasmus einer ausgehungerten Sechsjährigen, sich den Teller
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