Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
als Einziger den Weg zu Bryndens Abtei. Er wusste als Einziger, wie man in der Wüste überlebte. Aber er half ihnen nicht, weil er großherzig war oder edel oder gar besonders nett.
Er half ihnen, weil es ihm selbst half. Sie hatten etwas, das er nicht hatte. Etwas, das er offensichtlich brauchte.
Bryndens Ohr.
»Kocht das Wasser schon?«
Tiji sah auf, nickte Arkady zu und deutete auf die Kanne, die am Rand des penetrant stinkenden Kameldungfeuers stand. »Bedient Euch.«
Die Fürstin hatte den Schleier abgelegt, da sie jetzt nur zu dritt waren. Es hatte sowieso nur wenig Sinn, das, was von dem Schleier übrig war, noch umzulegen. Sie trug stattdessen einen Burnus, den leichten kapuzenartigen Überwurf, der bei den Kameltreibern beliebt war und vor der Sonne schützte. Arkady hatte ihn in einer der Satteltaschen an einem der Kamele gefunden. Die Abenddämmerung setzte allmählich ein, sodass sie die Kapuze zurückwarf und ihr sommersprossiges Gesicht und ihr windzersaustes Haar zeigte, das zu einem Zopf geflochten war, damit es sich nicht noch mehr verhedderte.
»Endlich. Ich könnte einen Mord begehen für eine Tasse Tee«, sagte Arkady mit einem erschöpften Lächeln.
Bevor Tiji antworten konnte, tauchte Cayal hinter Arkady auf und sah über ihre Schulter hinweg Tiji an. »Wer tötet wen, und wie kann ich behilflich sein?«
Tiji runzelte die Stirn und fand den Scherz nicht witzig. Cayal stand so dicht hinter Arkady, dass sie sich unweigerlich berühren mussten. Das tat er häufig. Während er Tiji gegenüber auf Abstand blieb - er nahm ihre Gegenwart die meiste Zeit über kaum zur Kenntnis -, war er umso mehr um Arkady bemüht. Wenn er mit ihr sprach, neigte er sich zu ihr, bis seine Lippen beinahe ihr Haar berührten. Wenn er ihr nahe kam, war es immer ein bisschen zu nah, als sei ihr Duft so verführerisch, dass er nicht genug davon kriegen konnte. Und wenn er sie ansah, dann mit einer Art wehmütiger Sehnsucht nach dem, was zwischen ihnen sein könnte. Das machte die kleine Crasii sowohl wütend als auch nachdenklich.
Arkady wiederum schienen seine Aufmerksamkeiten zwar mitunter unangenehm zu sein, doch Tiji nahm an, dass das hauptsächlich an ihrer Gegenwart lag. Wenn Arkady sich unbeobachtet fühlte, schien sie Cayals aufdringliches Verhalten weit weniger lästig zu finden, als wenn sie wusste, dass Tiji ihnen zusah.
Gezeiten, Declan, was siehst du nur in dieser Frau?
»Ihre Gnaden deutete an, sie wäre bereit, für eine Tasse heißen Tee einen Mord zu begehen«, klärte Tiji ihn auf, wandte sich ab und fügte ganz leise für sich hinzu: »Ein Jammer, dass sie Euch nicht umbringen kann.«
»Das habe ich gehört«, sagte Cayal und ging in die Hocke, um das Wasser vom Feuer zu nehmen. Er stellte die blubbernde Kanne in den Sand und sah sie an. »Ich bin neugierig, Gemang. Was habe ich denn getan, was eine solche Feindseligkeit von dir rechtfertigt?«
»Ihr seid ein Suzerain.«
»Was genau genommen eigentlich nicht meine Schuld ist.«
»Cayal ...«, sagte Arkady und legte ihre Hand auf seine Schulter. Vielleicht hoffte sie, ihn damit von einem so heiklen Gespräch abzubringen.
»Nein, Arkady. Lass sie antworten«, sagte er und schob ihre Hand beiseite. »Warum verachtest du mich, Gemang?«.
»Nun, zunächst einmal ist mein Name Tiji und nicht Gemang.«
»Ich habe dir das Leben gerettet.«
»Wirklich? Nach allem, was ich weiß, habt Ihr den Sandsturm überhaupt erst verursacht.«
»Warum hätte ich das tun sollen?«
»Um die anderen loszuwerden. Dann wäre Brynden nicht abgelenkt, wenn wir in der Abtei ankommen.«
Er lächelte. »Du denkst, ich hätte eine Gruppe von zwanzig unschuldigen Leuten aus einem derart banalen Grund getötet?«
»Jederzeit, ohne mit der Wimper zu zucken.«
»Tiji, es bringt nichts, Cayal zu beschuldigen ...«
»Eigentlich kennt mich die Gemang besser, als du denkst, Arkady«, unterbrach Cayal sie. Er lächelte noch breiter und heftete seinen Blick auf Tiji. »Aber in diesem Fall habe ich lediglich den Vorteil der vorhandenen Situation genutzt. Ich habe die Umstände keineswegs verursacht.«
»Das behauptet Ihr«, erwiderte Tiji unbeeindruckt.
»Das behaupte ich«, sagte er zustimmend. »Und ich möchte sicher sein, dass ich dich davon überzeugt habe. Ich bin nicht dein Feind, Tiji. Ganz im Gegenteil, ich brauche deine Freundschaft. Ich habe dich und Arkady gerettet, weil...«
»... Ihr uns braucht, um mit Brynden zu verhandeln«, beendete sie seinen Satz.
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