Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
gekommen war.
»Tiji?«, rief sie laut, denn die kleine Crasii war so ziemlich das einzige Wesen in ganz Torlenien, das Arkady erkennen würde. Und mit Sicherheit die einzige Frau in Torlenien, die nach ihr rufen würde. Und der Ruf war eindeutig eine Frauenstimme gewesen. »Tiji!«, schrie sie erneut und versuchte sich hinzustellen, doch Saxtyn zog sie runter.
»Gezeiten, Weib! Willst du, dass wir alle grün und blau geschlagen werden?«
»Aber ich hab meine Freundin gehört! Sie hat nach mir gerufen!«
Saxtyn verdrehte ungeduldig die Augen. »Dann hat sie dich auch gesehen und kann dir zum Schiff folgen und versuchen, dich dem senestrischen Kapitän abzukaufen. Jetzt sitz still und halt den Mund, du dumme Ziege, bevor du uns alle in Teufels Küche bringst.«
Saxtyn hatte vermutlich recht, und in den überfüllten Straßen hatte Arkady kaum eine Chance, Tiji auszumachen. Womöglich glitt ihr Blick einfach über sie hinweg, weil sie getarnt an irgendeiner Mauer stand und zusah, wie der Karren langsam vorbeirollte.
Arkady gab es auf und setzte sich wieder hin, doch in ihr rumorte neue Hoffnung. Tiji war irgendwo da draußen. Tiji hatte sie gesehen.
Tiji würde ihr bis zu den Docks folgen, wie Saxtyn gesagt hatte, und mit den Mitteln, über die sie verfugte - vorausgesetzt, sie hatte ihre diplomatischen Papiere nicht eingebüßt - würde sie es schaffen, Arkady freizukaufen.
Weiter wagte Arkady nicht zu denken. Sie empfand plötzlich eine abergläubische Angst, sie könnte ihre zum Greifen nahe Befreiung gefährden, wenn sie ihrer Aufregung erlaubte, mit ihr durchzugehen.
Aber jetzt hatte sie Hoffnung. Eine Zukunft.
Arkady klammerte sich für die nächsten Stunden fest an diese Hoffnung. Sie klammerte sich daran, als sie an Bord des senestrischen Frachters gingen. Sie klammerte sich noch daran, als man sie unter Deck führte, ihre Ketten aufschloss und sie zusammen mit den anderen Sklavinnen in ein enges, übel riechendes Loch im Laderaum stieß.
Erst als sie spürte, wie das Schiff unter ihnen zu schlingern begann, und begriff, dass sie abgelegt hatten und die Amphiden den Frachter aufs offene Meer hinauszogen, erst da gab sie die Hoffnung auf.
Erst da gestand sie sich ein, dass sie eine gezeichnete Sklavin auf dem Weg nach Senestra war, und dass niemand kommen würde, um sie zu retten.
69
Für ein Gasthaus, das ausschließlich Crasii bewirtete, war das Hund und Knochen ein wirklich vornehmes Lokal. Typisch für die torlenische Architektur, war es mehr eine Ansammlung kleiner Gebäude, die durch eine hohe Mauer eingefasst wurden, als dass es der klassischen Vorstellung von einem Haus entsprach. Es gab getrennte Schankstuben für Caniden und Feliden und dahinter einen kleineren Raum mit einem seichten Wasserbecken für die zahlreichen amphiden Seeleute, die täglich in dem geschäftigen Hafen eintrafen. Mit ihren diplomatischen Papieren, die auf glaebische Devisen schließen ließen, gelang es Tiji, das beste Zimmer des Hauses zu sichern.
Cayals und Tijis Wege hatten sich in den Vorstädten getrennt. Der Gezeitenfürst hatte sein Versprechen gegenüber Arkady gehalten und Tiji sicher in die Zivilisation zurückgebracht, aber er zeigte kein Bedürfnis, ihre Bekanntschaft zu verlängern. Ansonsten hatte er sich auf dem Weg von der Abtei in einer merkwürdigen Hochstimmung befunden, als wäre er durch die Aussicht auf Bryndens Hilfe von einer schweren Last befreit. Tiji hatte es nicht geschafft, ihm noch brauchbare Einzelheiten zu entlocken - sie hatte allmählich den Verdacht, dass Cayal selber keine Ahnung hatte, wie diese seltsame Kur von der Unsterblichkeit funktionieren sollte -, aber in einem Punkt war sie sich sicher.
Cayal glaubte fest daran, dass es einen Weg für ihn gab, zu sterben.
Und wenn man einen Gezeitenfürsten umbringen konnte, dann konnte man sie alle umbringen.
Jemandem von der Bruderschaft dies auf findigem Wege mitzuteilen, war alles, was Tiji nun tun musste.
Das war jedoch der Punkt, an dem ihre Planung scheiterte. Sie hatte keine verlässliche Möglichkeit, Declan Hawkes eine Nachricht zukommen zu lassen, außer sie selbst zu überbringen. Dazu aber konnte sie sich nicht durchringen, ehe sie nicht wusste, dass Arkady in Sicherheit war. Es war nicht so sehr Zuneigung zu der Fürstin, was sie so besorgt um Arkadys Schicksal machte. Tiji hatte Declan im Verdacht, dass er, vor die Wahl gestellt, entweder einen Gezeitenfürsten zu töten oder Arkady in Sicherheit zu bringen,
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