Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
ihre Hand aus seinem Griff. »Das kommt wohl daher, dass ihr in dieser Stadt so grob seid, dass wir lieber zu Hause bleiben.«
Der Spießverkäufer lächelte. »Wohl eher, weil ihr Angst vor uns großen, schrecklich haarigen Menschen habt. Ich bin aber gar nicht der Typ, der auf Leuten rumhackt, weil sie anders sind. Vielfalt ist gesund, sag ich immer. Wo soll's denn hingehen?«
Sie setzte einen drohenden Blick auf. »Was geht dich das an?«
Er zuckte die Achseln. »Nichts, nehme ich an. Bitte genieß jetzt dein Essen, ja?«
Tiji entfernte sich stirnrunzelnd von seinem Karren und fragte sich, warum der Händler sich so auffallend für sie interessiert hatte. Hungrig biss sie in das Fleisch und war erfreut festzustellen, dass es sehr würzig und wesentlich genießbarerer war, als es aussah. Sie aß im Gehen und warf die abgegessenen Spieße anschließend weg. Da die ganze Stadt dabei war, über Mittag zu schließen, brandete eine letzte Welle eiliger Aktivitäten auf, und die ohnehin quirligen Straßen schienen überzuquellen.
Sie bog um die nächste Ecke und befand sich nun auf der Hauptverbindungsader der Stadt zu den Kais und dem Zentrum. Hier war es, wo sie den Ochsenkarren voller Sklaven entdeckte, der in Richtung Hafen fuhr. Zunächst beachtete sie ihn nicht weiter, es war eben ein weiterer Wagen auf der überfüllten Straße, aber dann sah sie ein zweites Mal hin, weil unverschleierte menschliche Frauen hier so selten waren.
Ihr erster Gedanke galt nur der Befremdlichkeit dieses Anblicks, doch sogleich überwältigte sie Mitleid für die derartig geschundenen Kreaturen. Dann bemerkte sie die Frau in der Mitte, größer als ihre Gefährtinnen und eindeutig nicht aus Torlenien.
Gezeiten, sie sieht genau wie Arkady aus ...
Aber es konnte ja nicht Arkady sein, wie Tiji wusste, weil Arkady in Bryndens Abtei war. Vorläufig sicher und gut versteckt, bis Cayal mit Lukys zurückkehrte.
Sicher in der Obhut eines Unsterblichen, der darauf brannte, sich an dem Mann zu rächen, der sie dorthin gebracht hatte ...
Oh Gezeiten ..., dachte Tiji und rempelte sich durch die Menge, um den Karren wieder einzuholen. Würde Brynden Arkady so etwas Grässliches antun?, fragte sie sich, während der Karren ein Stück vor ihr dahinholperte.
Aber sicher, antwortete sie sich selbst. Er kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, es Cayal heimzuzahlen.
»Euer Gnaden!«, rief sie und bezweifelte, dass Arkady sie durch den Lärm der Menge hören konnte, zumal sie nicht erwarten würde, von jemand Bekanntem hier gerufen zu werden. »Hier drüben!«
Entmutigt sah sie, wie Arkady die Augen schloss. Entweder nahm sie an, sich das Rufen nur eingebildet zu haben, oder sie hatte es wirklich nicht gehört.
»Arkady!«, brüllte Tiji, so laut sie konnte, und zog die neugierigen Blicke vieler Leute auf sich.
Diesmal hörte Arkady sie. Sie setzte sich auf und suchte in der Menge nach einem vertrauten Gesicht. Tiji streckte einen Arm in die Höhe, um sich bemerkbar zu machen, aber ehe sie mehr als einmal winken konnte, packte sie jemand von hinten.
Eine behandschuhte Pranke legte sich über ihren Mund und hinderte sie am Schreien. Dann wurde sie rückwärtsgezogen und durch eine Tür in einen dunklen Raum geschleift. Sie wehrte sich mit aller Kraft, so gut sie konnte, und bemerkte eine andere Person, die dort im Dunkeln wartete.
»Hilf mir mal«, keuchte der Mann, der sie festhielt, als sie zappelnd versuchte, sich aus seinem Griff zu winden. »Gezeiten, das ist, wie wenn man versucht, einen Sumpfaal zu fangen.«
Tiji war froh, dass sie Mühe mit ihr hatten, aber es machte keinen großen Unterschied. Ein dunkler Sack wurde ihr über den Kopf gezogen und sperrte den letzten Rest Licht aus. In völliger Finsternis kämpfte sie noch verzweifelter. So hart sie konnte, trat sie den Mann, der sie geschnappt hatte, gegen das Schienbein und vernahm dankbar, wie er vor Schmerz aufschrie. Schnell versuchte sie ihn in die behandschuhten Finger zu beißen, aber da fühlte sie schon, wie sich Stricke um ihre Knöchel legten. Am Ende nützte alles nichts. In einer Geschwindigkeit, die man nur durch viel Übung erreichen konnte, wurde sie bis zur Bewegungsunfähigkeit verschnürt und dann — mit überraschender Vorsicht - auf den Boden gelegt.
Sie sah nichts mehr, fühlte aber, dass sich einer der beiden ihr näherte. Als er sprach, erkannte sie am Klang seiner Stimme bei ihrem Ohr, dass er neben ihr in die Hocke gegangen war.
»Nimm's leicht,
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