Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
der das Zeug gebracht hatte, hatte jede einzelne von ihnen abwägend angestarrt, als er die Pampe in ihren Napf klatschte, und an Alkasa blieb sein Blick ein Weilchen hängen, bevor er weitermachte.
Die junge Frau lächelte ihn an, nahm ihr Essen entgegen und drängte sich zwischen zwei der anderen Frauen hindurch. Dann beugte sie den Kopf tief über den Napf und stopfte sich das Zeug mit den Fingern in den Mund. Sklaven brauchten kein Besteck, ganz davon abgesehen, dass es sich womöglich als Waffe verwenden ließ.
So unauffällig wie möglich schöpfte Arkady den Brei mit den Fingern und schmierte ihn mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen über die Brandwunde auf ihrer Brust. Als sie den sauberen Wundschorf so weit bedeckt hatte, dass er glaubhaft nach einer eitrigen Wunde aussah, zog sie ihren Kittel zu und aß hastig den Rest der schalen Grütze. Dann, solange die anderen noch abgelenkt waren, hielt sie den Atem an, unterdrückte ein Würgen und tauchte einen Finger in den stinkenden Kübel, der neben ihr auf dem Boden stand. Sie versuchte krampfhaft, möglichst nicht zu ihrem Denken durchdringen zu lassen, was sie da tat, als sie mit dem schmierigen Finger rings um die Ränder des Schorfs strich. Intuitiv vermied sie es, die Wunde selbst zu berühren – eigentlich idiotisch, wie ihr plötzlich klar wurde. Schließlich war der Sinn der Übung, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Sie hatte doch gar nicht vor, noch so lange zu leben, bis ihre Wunde wirklich entzündet war.
Nun hieß es warten, bis der Matrose zurückkam, um die Näpfe einzusammeln. Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen an die Wand und versuchte krank auszusehen – keine allzu schwierige Aufgabe, wenn man auf dem schwankenden Boden einer überfüllten, stickigen Kajüte neben einem halbvollen Exkrementekübel hockte. Ab und zu stöhnte sie, bis Sharee, die älteste der Sklavinnen, schließlich fragte, was mit ihr los war.
»Mir ist ganz elend«, ächzte Arkady.
»Uns allen ist übel, du blöde Schlampe«, erwiderte die Frau mitleidlos. »Leide gefälligst leise.«
»Nicht seekrank«, stöhnte sie. »Ich glaube, mein Brandmal ist entzündet.«
Die Frau, die wie Arkady mit dem Rücken an der Stirnwand der Kajüte auf dem Boden saß, öffnete die Augen und musterte ihre glaebische Gefährtin neugierig. »Zeig mal.«
Arkady zog ihren Kittel zur Seite und hoffte, dass ihre Schorfkruste aus Grütze in der düsteren Kajüte einer oberflächlichen Inspektion standhielt.
»Gezeiten«, bemerkte Alkasa, die neben ihr saß. »Das stinkt ja wie Scheiße.«
Im wahrsten Sinne des Wortes, pflichtete Arkady ihr wortlos bei und schnitt eine Grimasse, von der sie hoffte, dass sie nach heftigen Schmerzen aussah.
»Das solltest du lieber melden«, riet Saxtyn. »Die werden stinksauer, wenn ihnen wegen so einer Kleinigkeit eine Sklavin abkratzt. Und wenn du hier an Blutvergiftung stirbst, geben sie uns die Schuld.«
Arkady nickte, schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück. Im Stillen dankte sie den nervtötend versnobten, hochwohlgeborenen Freunden ihres Gemahls für ihre vielen ungebetenen Ratschläge zur vernünftigen Sklavenhaltung: Man muss sich nicht groß um sie kümmern, pflegte Ladyjimison ihr ständig zu erklären, und man muss sie schon gar nicht mögen, aber wenn man sie sinnlos krepieren lässt, wirft man bares Geld zum Fenster hinaus.
Sie fragte sich, wie lange sie wohl würde warten müssen, bis der Matrose wiederkam, und wie bald danach der Schiffsarzt kommen würde.
Und wie lange es dann noch dauern würde, bis sie tot war.
»Aufstehen!«
Arkady verstand genug Senestrisch, um den Befehl zu erfassen. Mühsam kam sie auf die Füße und sah verblüfft, dass der Matrose an dem Schlüsselbund nestelte, der von seinem Gürtel herabhing. Offenbar wollte er sie von den Ketten losmachen, die sie mit den anderen Sklavinnen verbanden. Sie hatte angenommen, dass der Arzt zu ihr kommen würde, nicht umgekehrt.
Wenig später stand Arkady schwankend auf dem Gang, und der Matrose schloss die Kajüte hinter ihr ab. Dann stieß er sie vorwärts und bedeutete ihr, vor ihm eine schmale Stiege zu erklimmen, die aufs nächste Deck hinaufführte. Dort schob er sie an einigen geschlossenen Türen vorbei, bis er endlich vor einer stehen blieb, auf der verschlungene Efeublätter eingeschnitzt waren, offenbar das senestrische Symbol für einen Arzt. Der Matrose klopfte kurz, dann öffnete er die Tür und schubste sie hinein, ohne eine Aufforderung
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