Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
Euch«, sagte sie mangels einer besseren Erklärung für ihr Täuschungsmanöver. Ich wollte ein Skalpell entwenden, um mich umzubringen, wäre jetzt wohl kein sonderlich kluges Eingeständnis.
»Weswegen?« Er kam zurück, dieses Mal mit einem Waschlappen in der Hand. Arkady drehte den Kopf weg, als er behutsam ihre Brust wieder freilegte und sich daranmachte, ihr den Unrat abzuwaschen.
»So bin ich immerhin aus dem Sklavenpferch rausgekommen.«
Arkady riskierte einen Blick. Der junge Mann konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit. Wie sie befürchtet hatte, war im besseren Licht der Arztkajüte deutlich zu sehen, dass ihre Wunde sauber war und gut verheilte. Aber der junge Arzt hatte knallrote Ohren, und Arkady kam nicht umhin, sich zu fragen, wie oft er es wohl bisher mit nackten Brüsten zu tun bekommen hatte.
Nicht oft, entschied sie, als er vom Tisch zurücktrat, um den Waschlappen auszuspülen. Vorne an seinen Beinkleidern hatte sich eine unübersehbare Ausbuchtung gebildet.
»Gezeiten«, sagte sie und zog ihren Kittel zu. »Wie lange seid Ihr denn schon auf See?«
Er sah an sich herab und brachte es fertig, noch einige Schattierungen tiefer zu erröten. »Ich … oh … es tut mir leid … ich wollte nicht …«
Arkady starrte ihn verblüfft an. »Ihr entschuldigt Euch? Warum denn das? Ich bin doch hier die Sklavin.«
»Ich bin nicht …« Er brach ab, dann zuckte er hilflos mit den Schultern. »Ich kann einfach nicht besonders gut mit Frauen umgehen, egal ob Sklavin oder frei geboren.« Er warf den Waschlappen in die Schüssel und drehte sich zu ihr um. »Aber mit meinem eigenen Geschlecht komme ich auch nicht besser klar, wie man an meinen schönen Prellungen und Platzwunden sieht.«
»Warum haben sie Euch zusammengeschlagen?«, fragte sie, teils aus echter Neugier, teils um ihre Rückkehr in die Sklavenkajüte so lange wie möglich hinauszuzögern. Auf dem wunderbar ordentlichen Tablett, nur um eine Armlänge außerhalb ihrer Reichweite, lagen die Mittel für ihren Ausweg. Wenn sie durch ein wenig geheucheltes Interesse an den Kümmernissen des jungen Arztes doch noch ein Skalpell in die Finger bekam, dann war Arkady mehr als bereit, hier zu sitzen und voller Mitgefühl zuzuhören, und wenn er ihr seine ganze Lebensgeschichte erzählte.
»Ich schätze, die Mannschaft hat Befehl, mich hart ranzunehmen.«
»Ist das Euer Ernst?«
Er nickte. »Mein Name ist Cydne Medura.«
Sie wartete in der Annahme, dass noch eine Erklärung folgen würde, aber offenbar war dem nicht so. »Tut mir leid. Sollte mir das etwas sagen?«
Er lächelte. »Wenn du aus Senestra wärst, hättest du von uns gehört. Meine Familie ist sehr mächtig.«
Medura. Jetzt fiel ihr ein, wo sie den Namen schon gehört hatte, und sie nickte. »Als Ihr sagtet, dass es euch überrascht, eine glaebische Adlige auf einem Sklavenschiff Eures Vaters zu finden, da meintet Ihr … wie heißt er noch … Filimon Medura?«
»Filimar«, berichtigte er.
»Man sollte meinen, der Sohn des Eigentümers zu sein, müsste Euch vor Übergriffen der Besatzung schützen und nicht zur Zielscheibe machen«, sagte sie.
»Sollte man meinen«, stimmte Cydne zu und wischte sich die Hände ab. »Aber ich habe den Verdacht, meine Schiffskameraden handeln auf ausdrücklichen Befehl des Kapitäns.«
Als Arkady darauf nichts sagte, fügte er hinzu: »Ich bin auf dieser Fahrt, weil mein Vater glaubt, ein paar Monate auf See würden einen Mann aus mir machen. Er überlässt nichts dem Zufall, musst du wissen. Wenn diese Reise den Zweck haben soll, einen beinharten Kerl aus mir zu machen, hat er garantiert Maßnahmen getroffen, die dieses Ergebnis unausweichlich machen.«
Sie betrachtete sein blutunterlaufenes Auge und den schwärzlich geschwollenen Kiefer. »Ihr seht nicht aus, als hättet Ihr dabei viel Spaß.«
»Kann man nicht sagen.« Er lächelte schief.
»Tut mir leid.«
Cydne lächelte noch breiter, was die unvorteilhafte Folge hatte, dass er weit jünger wirkte, als er vermutlich war. Bedachte man seinen Beruf und dass er sowohl in Senestra als auch in Glaeba studiert hatte, so musste er mindestens auf die dreißig zugehen, aber danach sah er nicht aus. Was sein Leben bestimmt nicht einfacher machte.
»Mitleid von einer Sklavin«, er seufzte. »Jetzt bin ich wirklich deprimiert.«
»Ich wäre viel lieber tot als in meiner gegenwärtigen Lage«, versetzte Arkady. »Also falls Ihr tauschen möchtet, Doktor …«
»Du solltest jetzt zurückgehen«,
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