Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
einen fragenden Blick zu.
Ich zuckte die Achseln. »So verhält er sich schon, seit er aus Euland zurück ist.«
Du hast vermutlich noch nie von Euland gehört. Es gibt Euland schon seit langem nicht mehr. Es war eine kleine Insel, ein gutes Stück nördlich der Küste von Magreth, auf der anderen Seite des Äquators. Wir unterhielten Handelsbeziehungen zu ihnen, aber mehr auch nicht. Ich war dort wahrscheinlich schon seit Hunderten von Jahren nicht mehr gewesen und mit Sicherheit auch keiner der anderen Unsterblichen.
Cayal befreite sich aus Pellys Umklammerung und musterte ihn neugierig. »Was ist los, Bursche? Gibt dir auf Euland keiner mehr Fische, mit denen du spielen kannst?«
Pellys verstand weder Ironie noch Sarkasmus. Er nahm Cayals Frage für bare Münze und schüttelte nur den Kopf. »Sie wollten nicht, dass ich meine Frau behalte.«
Cayal bekam große Augen. »Du hast eine Frau?«
»Nicht mehr. Sie wollten nicht, dass ich sie behalte.«
Er sah mich um Aufklärung heischend an, doch ich wusste genauso viel wie Cayal auch. Als Pellys einige Monate zuvor nach einer Abwesenheit von mehr als hundert Jahren zum Tempel zurückgekehrt war, hatte er mir dasselbe erzählt, aber nie erklärt, was er damit meinte.
»Ich habe immer gedacht, du hoffst, dass Syrolee zu dir zurückkommt?«
Pellys schüttelte den Kopf. »Sie sah aus wie Syrolee.«
»Du hast eine Frau gefunden, die aussieht wie Syrolee?«, wiederholte Cayal unsicher. »Während du auf Euland warst?«
»Ganz recht.«
»Und sie wollten nicht, dass du sie behältst, sagst du? Wer sind sie?«
»Die Leute, die so aufgebracht waren.«
»Aufgebracht? Welche Leute waren aufgebracht?«
»Die Leute, die sie gefunden hatten. Sie hat mir gehört, Cayal«, schluchzte er, »und sie wollten nicht, dass ich sie behalte.«
Er hatte wesentlich mehr Erfolg als ich, die Geschichte aus Pellys herauszukitzeln. Doch ich hörte Cayals Befragung mit wachsendem Unbehagen zu. Nichts, was einen Gezeitenfürsten verärgert – insbesondere einen mit Pellys’ gewaltiger Macht und seinem eingeschränkten Auffassungsvermögen –, kann zu etwas Gutem fuhren. Schon gar nicht während des Gezeitenhochstands.
Cayal schien meine dunklen Ahnungen zu teilen. »Pellys, warum wollten sie nicht, das du sie behältst? Sie war doch nicht die Frau von jemand anderem, oder doch?«
Pellys schüttelte den Kopf, und Tränen liefen ihm ungehemmt über das Gesicht. »Nein. Sie gehörte mir. Sie war so hübsch. Genau wie Syrolee. Und ich hab dafür gesorgt, dass sie so bleibt, aber sie haben sie mir weggenommen.«
Gezeiten, dachte ich, er hat versucht, sie unsterblich zu machen.
Cayal dachte offensichtlich dasselbe. »Hast du sie angezündet?«
Pellys schüttelte den Kopf und schniefte laut. »Natürlich nicht. Das hätte sie zerstört. Die Flammen hätten ihr Haar verbrannt und ihr Gesicht … Gezeiten, ich würde so etwas nie tun.«
»Also, was hast du denn getan?«, fragte Cayal und sah mich mit wachsender Besorgnis an.
»Ich habe sie mit Geist gefüllt, um sie zu erhalten.«
Zunächst dachte ich, er meinte Geist in einem spirituellen, göttlichen Sinn. Cayal sieht die Welt jedoch mit anderen Augen als ich, oder vielleicht kannte er Pellys auch einfach nur besser, als ich dachte. Er sah ihn in völligem Unglauben an. »Du hast versucht, sie zu konservieren? Mit Alkohol?«
Der ältere Mann nickte und wischte sich die Nase mit dem Arm ab. Offensichtlich sah er nichts Unrechtes daran. »Es hätte auch funktioniert, hätten sie sie mir nicht weggenommen.«
»War sie …«, Cayal zögerte kurz, bevor er seine Vermutung in Worte fasste. Er fürchtete wohl die Antwort, nehme ich an. »War sie noch am Leben, als du versucht hast, ihr Blut durch den Alkohol auszutauschen, Pellys?«
Er starrte Cayal an, als wäre der etwas schwer von Begriff. »Na, selbstverständlich war sie am Leben. Das war es doch, was ich erhalten wollte.«
Bei der Vorstellung wurde mir übel. Gezeiten, er hatte irgendein Mädchen ausgeblutet und versucht, Alkohol in ihre Venen zu füllen. Wer war dieses arme Mädchen, an dem er Geschmack gefunden hatte? Und wer waren die Leute, die sie ihm weggenommen hatten?
Noch wichtiger, was war ihnen zugestoßen?
Cayal muss meine Gedanken gelesen haben oder zumindest den entsetzten Ausdruck auf meinem Gesicht. »Was geschah, als sie sie dir weggenommen haben, Pellys?«, fragte Cayal behutsam.
»Ich hab dafür gesorgt, dass sie weggehen.«
»Und wie?«
»Ich weiß nicht
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