Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
sein würde wie Jaxyn oder Cayal. Sie selbst hatte durchaus das Recht, wütend auf Declan zu sein, aber wehe, wenn andere sich anmaßten, schlecht von ihm zu denken. »Ihr könnt doch gar nicht wissen, ob er so handeln wird, Mylady. Vielleicht entschließt er sich, die Gezeitenmagie gar nicht anzuwenden.«
Arryl lachte skeptisch. »Die Gezeitenmagie nicht anwenden? Sieh dich an, Weib. Du müsstest eigentlich tot sein und hast nicht einen Kratzer. Declan kann gar nichts dagegen tun. Er hat sich vermutlich tausend Eide geschworen, niemals und unter keinen Umständen die Gezeiten zu berühren. Und was passiert? Sobald jemand, den er liebt, in Gefahr schwebt, langt er in die Gezeiten, als gäbe es kein Morgen.« Sie warf die Hände in die Luft, als verzweifelte sie schier über Arkadys Ignoranz. »Er hat dich binnen eines Augenblicks geheilt, verstehst du das denn nicht, Arkady? Nicht einmal ich wäre dazu in der Lage, und ich übe diese Heilkunst schon seit Tausenden von Jahren. Und ich wette, er hat nicht einmal den Hauch einer Ahnung, wie er das überhaupt bewerkstelligt hat. Er hat einfach gewollt, dass es geschieht, und da bist du, strahlend schön und wieder wie neu.« Sie nahm eine große Holzscheibe, legte sie zum Abdecken über den Bottich und schüttelte aufgebracht den Kopf. »Gezeiten, es sind immer die Wohlmeinenden, die den meisten Arger heraufbeschwören.«
Sie sprach aus eigener Erfahrung, ahnte Arkady, und argumentierte nicht bloß theoretisch. Arkady war unfreiwillig beeindruckt. Von allen Unsterblichen war Arryl die einzige, der man zuschrieb, dass sie sich etwas Menschlichkeit bewahrt hatte, sie war die Gütigste einer erbarmungslosen Art. Was hatte sie getan, was so viel Reue in ihrer Stimme hervorrief, selbst nach so langer Zeit noch?
»Sprecht Ihr von Cayal?«, versuchte sie zu soufflieren. »Wie er die Ewige Flamme ausgelöscht hat?«
Arryl blickte auf. »Er hat es dir erzählt, ja? Oder vielmehr seine Version davon. Aber nein, ich spreche nicht von Cayals Wutausbruch. Ich spreche von einem klassischen Beispiel dafür, dass der Weg zur Hölle gepflastert ist mit den gut gemeinten Taten edler Narren.«
»Was ist geschehen?«
Und zu Arkadys Erstaunen erzählte die Unsterbliche ihr die Geschichte.
39
Wenn du weißt, wie Cayal unsterblich wurde, weißt du vielleicht auch, was dann geschah. Er machte sich gemeinsam mit Tryan auf den Weg, um seine heiß geliebte Gabriella zurückzugewinnen. Der Misserfolg dieser Mission und die darauf folgende Zerstörung von Lakesh und letztlich ganz Kordanien hatten eine niederschmetternde Wirkung auf ihn.
Natürlich erfuhren wir von der Zerstörung Kordaniens, wir konnten es sogar eine Zeitlang fühlen. So viel Rauch und Asche in der Atmosphäre ziehen den ganzen Planeten in Mitleidenschaft, ganz gleich, wo genau die Verwüstung stattgefunden hat. Und wir erfuhren alle davon. Als Tryan zurück war, konnte er es kaum abwarten, uns zu erzählen, was sie getan hatten.
Cayal war weniger erpicht darauf, damit zu prahlen. Es dauerte vielmehr einige Jahre, bis irgendjemand ihn in Magreth wieder zu Gesicht bekam.
Ich war nicht dabei, deswegen kann ich dir nicht genau sagen, was in Kordanien passiert ist, aber ich bin überzeugt, dass Cayal die Macht, die ihm zur Verfügung stand, erstmals einschätzen lernte, und ich bin mir sicher, es hat auch ihn zu Tode erschreckt.
Unglücklicherweise hielt ihn das nicht von dem Versuch ab, noch etwas anderes Edles mit seinen Kräften anzustellen. Vielleicht wollte er eine Art Wiedergutmachung leisten. Allerdings macht eine zweite weltweite Katastrophe die erste nicht besser. Aber Cayal ist eben Cayal und musste das auf die harte Tour herausfinden.
Ich weiß nicht, was genau das bei manchen Männern ist, aber sie scheinen zu denken, dass ihnen die Unsterblichkeit aufgrund einer göttlichen Bestimmung geschenkt wurde, dass es einen Grund für ihre Existenz gibt, der den Horizont gewöhnlicher Menschen übersteigt.
Brynden leidet unter derselben Krankheit, er glaubt, seine Unsterblichkeit sei so etwas wie eine Auszeichnung zu einem höheren Zweck. Jaxyn denkt ebenfalls so, obwohl er es heutzutage wahrscheinlich niemandem mehr eingestehen würde, am allerwenigsten sich selbst.
Ich spürte Cayal, bevor ich ihn sah. Er ist ein mächtiger Gezeitenfürst, und seine Präsenz in den Wogen der kosmischen Flut ist unverkennbar. Das nimmt im Laufe der Zeit auch immer mehr zu -je mehr du dich der Gezeiten bedienst, desto stärker
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