Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
beeinflusst du sie. Deswegen können wir auch nicht immer mit Bestimmtheit sagen, ob ein neuer Unsterblicher auch ein Gezeitenfürst sein wird. Du musst deine Zehe erst ein paarmal ins Wasser halten, um es mal so zu sagen. Du musst erst lernen, wie weit du schwimmen kannst, bevor du herausfindest, wie tief du eintauchen kannst, um auch mit heilem Geist zurückzukehren.
Solltest du wissen wollen, was passiert, wenn du zu weit schwimmst, frag mich irgendwann einmal nach Kentravyon …
Aber ich sprach von Cayal. Ich spürte die Kräuselungen eines mächtigen Gezeitenfürsten in den Gezeiten und eilte zur Haupthalle des Tempels, weil ich erwartete, Lukys zu sehen. Wir waren zu der Zeit noch in Magreth, die kosmische Flut war auf dem Höhepunkt, und ich glaube, Cayal war wohl ungefähr dreihundert Jahre alt. Er sah natürlich nicht so aus. Vielmehr sah er, genau wie heute auch, keinen Tag älter aus als die sechsundzwanzig Lenze, die er zählte, als Diala ihn unsterblich machte.
»Cayal!«, rief ich überrascht.
Er drehte sich um und sah mich an. Er war wie ein Einheimischer gekleidet – mit einem einfach gemusterten Tuch, das er sich um die Hüften geschlungen hatte –, daraus schloss ich, dass er sich schon seit einiger Zeit in Magreth aufhielt. Ich hatte keine Ahnung, was ihn hierher geführt hatte, aber er starrte die Ewige Flamme an, als hätte sie eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Zu der Zeit zeigten sich bei ihm gerade die ersten Anzeichen vom Überdruss des Alters. Natürlich nicht körperlich, aber es gibt so eine gewisse Müdigkeit der Seele, die uns allen früher oder später zusetzt. Dagegen ist niemand von uns immun.
Du kannst dir bis zum Erbrechen vorbeten, dass du unsterblich bist, aber erst wenn du jeden überlebt hast, den du kanntest, schlägt die Erkenntnis wirklich ein. Ich glaube, deshalb ist Cayal auch nach Magreth zurückgekehrt. Obwohl er wusste, dass er unsterblich war, war ihm erst vor kurzem richtig klar geworden, dass er für immer leben würde.
»Hallo, Arryl.«
Ich starrte ihn an und suchte nach einer Veränderung – die Gezeiten mögen wissen, warum –, aber er wirkte genauso wie das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte. »Warum hast du keine Nachricht geschickt, dass du kommst? Diala ist nicht hier, aber …«
»Aber im Palast wollen sie sicher wissen, dass der Unsterbliche Prinz zurückgekehrt ist?«
»Sie werden erfahren, dass du hier bist, Cayal. Entweder jemand erzählt es ihnen, oder sie kommen dem Tempel nahe genug, um dich in den Gezeiten zu spüren.«
»Ist Tryan hier?«
»In Magreth? Nein, ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Ich glaube, er hält sich irgendwo in Fyrenne auf. Zusammen mit Elyssa.«
Er war augenscheinlich erleichtert. »Ich bin froh, das zu hören. Ich bin nicht sicher, ob ich jetzt die Geduld hätte, mich mit Tryan abzugeben. Oder auch mit Elyssa.«
Ich lächelte mitfühlend. Elyssas Begeisterung für Cayal war uns allen bekannt. »Sie ist ziemlich angetan von dir, Cayal.«
»Bist du sicher, dass Tryan nicht hier ist?« Er wollte offensichtlich nicht über Elyssa sprechen.
»Absolut sicher.«
»Also, wer ist hier in Magreth und hält den kaiserlichen Laden in Schwung?«
»Engarhod ist natürlich hier. Rance und Krydence kommen und gehen. Ebenso Medwen und Lyna. Ambria ist schon seit längerem weg. Ich glaube, sie verließ uns, bevor du das erste Mal hier warst. Lukys habe ich schon seit mehreren Jahren nicht gesehen. Wie ich hörte, hat Brynden sich mit Kinta in Torlenien niedergelassen. Was Kentravyon, Taryx oder Jaxyn treiben, weiß ich nicht genau, aber Pellys ist zurzeit hier.«
Cayal lächelte. Er hatte schon immer eine kleine Schwäche für Pellys gehabt. »Wie steht’s um den Fischbestand?«
»Ganz schlecht, fürchte ich. Allerdings wird Pellys sich freuen, dass du zurück bist. Er ist in letzter Zeit nicht sonderlich fröhlich gewesen.«
»Belastet ihn die Unsterblichkeit?«
Cayals Frage überraschte mich, wegen des Einfühlungsvermögens und der Treffsicherheit. »Ich glaube, das könnte zutreffen. Woher weißt du das?«
Er zuckte die Achseln. »Nennen wir es eine auf Sachkenntnis gestützte Vermutung. Und wie hältst du dich so?«
Ich lächelte. »Halten? Wo soll ich mich denn halten?«
»Keine Ahnung … im Leben …«
»Stimmt was nicht, Cayal?«
Cayal schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln, das mich nicht für einen Augenblick täuschen konnte. »Alles wunderbar, Arryl. Wir
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