Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
so etwas von meinem Gemahl zu behaupten! Er kommt aus einer der besten Familien von PortTraeker!«
»Er wurde von der Trinität zum Tode verurteilt«, erklärte Arkady jetzt an den Bruder gerichtet. »Sie haben ihn an den Baum der Gerechtigkeit gebunden und den Gobie-Ameisen überlassen.«
»Nein!«, kreischte Olegra. »Ich glaube dir nicht!«
»Wer hat dieses Urteil vollstreckt?«, fragte Ulag fordernd. Er drehte sich um und rief in die rasch zunehmende Dunkelheit: »Tritt vor, du Narr, der du behauptest, im Namen der Trinität zu sprechen, und beweise mir, dass du das recht hast, ein Todesurteil über einen freien Menschen zu fällen!«
Natürlich geschah gar nichts. Weder erschien Cayal wie durch Zauberhand, noch tauchten Arryl oder Declan auf.
So viel dazu, im letzten Augenblick gerettet zu werden …
»Wie es scheint, ist deine Trinität nicht hier, um sich zu verteidigen.«
»Vermutlich halten sie Euch nicht für wichtig genug«, gab Arkady zurück. Sie fand, jetzt, da ihr Schicksal ohnehin besiegelt war, machte es keinen Unterschied mehr, wie despektierlich sie sich verhielt. Arkady hatte diesen Leuten gegenüber monatelang ihre Zunge im Zaum gehalten. Sie hatte sie alle gründlich satt. Wenn Declan und Cayal es nicht rechtzeitig schafften, sie zu retten, gedachte sie dennoch nicht, vor diesen Narren in Demut zu sterben.
Dann war Cydne eben nicht der Einzige, der in Wasserscheid als freier Mensch starb.
»Ich will diese Leute drankriegen, Ulag«, verlangte Olegra von ihrem Bruder und stampfte mit dem Fuß auf wie ein verzogenes Kind, das sie ja auch war. »Nicht bloß dieses verlogene Flittchen, auch jede einzelne Seele aus diesem Dorf. Und aus jedem anderen Dorf in den Feuchtgebieten, wo sie sich einbilden, dass ihre lächerliche Religion ihnen das Recht gibt, einen unschuldigen Mann zu töten.«
»Im Gegensatz zu Eurer lächerlichen Religion?«, sagte Arkady. »Verehrt Ihr nicht den Fürsten der Askese? Tja, ich habe Euren kostbaren Fürsten der Askese kennen gelernt, Olegra, und in Wahrheit ist er ein richtiger kleiner Scheißkerl. Wusstet Ihr eigentlich, dass er mit Männern und Frauen schläft? Und dass er trinkt? Und spielt? Und sich grundsätzlich durchs Leben hurt wie ein Matrose?«
Olegra schlug sie erneut – womit Arkady gerechnet hatte – doch sie war noch am Leben, was für sich genommen schon ein Grund war, dankbar zu sein.
Die Frage war allerdings, wie lange sich dieser Zustand noch aufrechterhalten ließ, wenn Cayal, Arryl und Declan nicht bald auftauchten.
»Sei still!«, schrie Olegra. »Du hast keine Erlaubnis zu sprechen!«
»Die brauche ich nicht«, sagte Arkady und erschrak selbst ein wenig, als sie merkte, dass sie sich tatsächlich amüsierte. Natürlich hatte man ihr bis jetzt im Grunde auch noch nichts Schlimmes angetan, von ein paar Ohrfeigen abgesehen. Sie fürchtete, der Spaß würde ziemlich schnell aufhören, wenn Olegras Bruder das Schlagen übernahm. Aber der Ausdruck in den Gesichtern dieser arroganten Kaufleute, die zum ersten Mal in ihrem engstirnigen, selbstgerechten Leben knallharten, offenen Widerstand von einer Sklavin erlebten, war wirklich herzerfrischend. »Wusstet Ihr, dass Euer Gemahl sich von mir hat Unterricht geben lassen, wie er Euch berühren soll, Olegra? Wo er Euch berühren … und was er sagen soll?«
Olegra stieß einen unartikulierten Schrei aus, doch eine plötzliche heftige Bö trug ihn davon. Überall um sie herum erzitterten die Bäume unter einem Windstoß, der Olegra so heftig gegen ihren Bruder drückte, dass er um sicheren Stand kämpfen musste, um nicht zu straucheln. Auch wenn Arkady nicht spüren konnte, wie die Gezeiten aufwallten, sackte sie vor Erleichterung zusammen, denn keine natürliche Ursache konnte diesen plötzlichen Wetterumschwung herbeigeführt haben.
Wie verspätet auch immer, hier war ihre Rettung in Gestalt der Trinität – oder zumindest ihrer derzeitigen Variante.
52
Wasserscheid war nahezu menschenleer. Declan traf mit Cayal und Arryl ein, als am Horizont die Sonne unterging. Insekten summten durch die Dämmerung, doch sie ließen die Unsterblichen grundsätzlich in Ruhe, eine unerwartete Vergünstigung, die Declan bisher noch gar nicht aufgefallen war.
Drei Schiffe drängten sich am Pier der Hafenanlage, doch nur das größte schien Passagiere von Bord gelassen zu haben. Ein Laufsteg war auf den Kai herabgelassen, um den einige Wachen postiert waren. Man schenkte den drei unbewaffneten Zivilisten,
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