Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
demselben Schluss gekommen wie Cayal. Nur dass er nicht versuchte, sich das Leben zu nehmen, sondern sich damit begnügte, seine Sorgen im Wein zu ertränken.
Engarhods zwei Söhne waren ein ganz anderer Fall. Rance und Krydence waren noch nicht so lange wie die anderen im Palast und wollten hauptsächlich ihren Spaß haben, soweit Stellan das sagen konnte. Sie nutzten ihre lose Verbindung zum Thron, um alle möglichen Vergünstigungen zu beanspruchen, wogegen Jilna nichts unternahm. Nachdem Stellan ihnen am Tag seiner Ankunft kurz begegnet war, kam er zu dem Schluss, dass sie nichtsnutzige Strolche waren, und seither hatte er keine Veranlassung gehabt, seine Meinung über sie zu ändern.
Die interessanteste von allen Unsterblichen war Elyssa, fand Stellan. Sie war fast haargenau so, wie Cayal sie beschrieben hatte – mit einem Gesicht, dem es extrem an Form und Ausdruck mangelte, und einem Körper, der durch die Unsterblichkeit nahezu vollkommen war. Sie schien zu wissen, dass die Leute sie nicht mochten, ebenso wie sie wusste, dass die meisten Leute, die vorgaben, sie zu mögen, nur den Einfluss nutzen wollten, den sie auf ihren Bruder hatte. Es kursierten Gerüchte über junge Männer, die in ihre Räumlichkeiten eingeladen wurden und die man daraufhin nie wieder gesehen hatte, doch Stellan hatte nie beobachten können, dass sie mit irgendeinem Mann poussiert hätte, und so war er nicht sicher, ob man diesen Gerüchten Glauben schenken konnte.
Sie schien eine auf Bücher versessene junge Frau zu sein, die sich ganz dem Studium von … irgendetwas … widmete. Stellan wusste nicht, was es war, aber sie verbrachte eine Menge Zeit mit der Lektüre alter Schriften und bei Treffen mit verschiedenen Gelehrten sowohl aus Caelum als auch aus dem Ausland. Einige Tage nach seiner Ankunft hatte Stellan hier sogar Andre Fawk getroffen, Arkadys alten Kollegen von der Universität Lebec, der gerade auf dem Weg zu einem Termin mit Lady Alyssa war. Da er gewissermaßen mittellos war, seit Jaxyn über das Fürstentum herrschte und beschlossen hatte, die Universität nicht länger zu unterstützen, arbeitete Fawk im Auftrag von Elyssa an irgendeinem Projekt, wobei Stellan keine Ahnung hatte, was das sein konnte.
Aber es interessierte ihn unbändig, schon weil Warlock verschwunden war, seit Elyssa vor einigen Wochen mit ihm für ein paar Tage den Palast verlassen hatte. Als er sich nach dem Verbleib des Caniden erkundigte, erfuhr er, dass Elyssa ihn bei irgendeiner archäologischen Ausgrabung zurückgelassen hatte, um ein wachsames Auge auf Fawk zu haben. Anscheinend unterstützte sie diese Ausgrabung mit Geldmitteln, wohl als Teil ihrer Forschung über … nun, über was auch immer sie forschte.
Diese Neuigkeit interessierte ihn nicht nur, sie erinnerte ihn auch an sein Versprechen, Warlocks Familie zur Flucht zu verhelfen. Und das wiederum war ein Problem für sich, denn Stellan hatte weder die Berechtigung noch einen Grund, sich den königlichen Crasii-Zwingern auch nur zu nähern.
Er brauchte Hilfe, und die einzige echte Verbündete, die er im Palast hatte, war Prinzessin Nyah.
Also hatte er sich zum Frühstück eingefunden. Er ignorierte das wiehernde Gelächter von Krydence und Rance, Resultat eines besonders schmutzigen Witzes, den die Brüder miteinander teilten. Er achtete auch nicht weiter auf Engarhod, der bereits einen ganzen Krug Wein geleert hatte, oder Syrolee, die auf Tryan einredete und ihn mit leiser, verärgerter Stimme zu irgendetwas drängte, was ihr Sohn jedoch nicht zur Kenntnis nahm.
Stellan füllte sich seinen Teller am Büfett und nahm am anderen Ende der langen Tafel neben Nyah Platz, die so weit wie möglich von ihrem unsterblichen Stiefvater entfernt saß.
»Guten Morgen, Eure Hoheit.«
»Euer Gnaden.«
»Darf ich mich zu Euch gesellen?«
»Bitte sehr«, sagte sie mit Nachdruck.
Stellan lächelte mitfühlend, während er seine Serviette ausschlug. »Scheint wohl einer dieser Tage zu werden, nicht wahr?«
»Es sieht ganz danach aus«, sagte die kleine Prinzessin mit dem Mund voll Röstbrot. »Ich überlege, ob ich wieder weglaufen soll«, fügte sie leise hinzu.
»Glaubt Ihr denn, dass es etwas nützt?«, fragte er, nicht sicher, ob sie es ernst meinte.
Die Prinzessin starrte zu ihrer Mutter hinüber, die am anderen Ende der Tafel saß, unbekümmert vor sich hinkaute und offensichtlich nichts von dem mitbekam, was um sie herum vorging. »Hierzubleiben scheint mir auch nicht sehr sinnvoll
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