Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
nie zuvor gesehen hatte. Dann sah er genauer hin, und vor Schreck blieb ihm der Mund offen stehen. »Boots?«
»Seht!«, zischte sie und drückte sich an ihm vorbei, um rasch aus der Zelle zu spähen und sich zu vergewissern, dass sie nicht belauscht wurden. Als sie sich überzeugt hatte, dass sie wirklich allein waren, wandte sie sich wieder Stellan zu. »Hier heiße ich Tabitha Belle.«
Stellan war völlig perplex. »Aber … Gezeiten, bist du etwa Warlocks Gefährtin?«
»Wer ist Warlock?«, fragte Nyah, die sich hingekniet hatte und die schlafenden Welpen betrachtete. »Kann ich eins hochheben?«
»Ich würde es begrüßen, wenn Ihr sie nicht aufweckt«, sagte Boots, bevor sie sich wieder Stellan zuwandte und ihn gespannt ansah. »Wie kommt es, dass Ihr Warlocks Namen kennt?«
Ihre Haltung war verteidigend, die Rute aufgestellt, die Zähne nahezu gebleckt. Er begriff, dass sie Angst hatte. »Ich habe ihn in Lebec kennen gelernt«, sagte er. »Er bat mich, nach euch zu sehen. Ich bin nicht hier, um dir oder deinen Jungen etwas zuleide zu tun, Boots.«
Boots schien sich ein wenig zu entspannen. »Ihr habt ihn damals bei der Stadtwache aufgesucht.«
Stellan nickte. »Er kannte meine Gemahlin. Sie schwärmte in den höchsten Tönen von ihm. Ich nehme an, du teilst diese Meinung, wenn man bedenkt, dass du gemeinsam mit ihm hier bist.«
Boots wiegte den Kopf. »Ich mag ihn, Euer Gnaden. Manchmal, wenn ich nichts dagegen tun kann, mag ich ihn sogar sehr. Aber ich wünschte, ich hätte ihn nie getroffen.«
Stellan blickte auf die Welpen hinunter. Nyah hatte sich über sie gebeugt und hoffte sichtlich, dass sie aufwachten, aber sie fasste sie nicht an. »Ich bin sicher, du meinst das nicht so. Andernfalls hättest du diese kleinen Schätzchen hier doch nicht.«
Unerklärlicherweise füllten sich Boots’ Augen mit Tränen. »Gezeiten, das ist ja gerade das Grausame dabei.«
»Was meinst du damit?«, fragte Nyah und sah sie stirnrunzelnd an. »Sie sind hinreißend.«
»Und sie sind Crasii, Eure Hoheit.«
»Nun, natürlich sind sie das«, Nyah verdrehte ungeduldig die Augen. »Wie lange dauert es wohl noch, bis sie aufwachen? Was meinst du?«
Boots gab der kleinen Prinzessin keine Antwort. Ihr Blick ruhte auf Stellan. Zuerst verstand er nicht, weshalb diese Crasii so aufgelöst darüber war, drei völlig gesunde Crasii-Welpen zu haben. Aber dann ging ihm plötzlich ein Licht auf. Boots und Warlock waren nicht einfach nur Crasii, sie waren Arks.
»Gezeiten! Boots, es tut mir ja so leid.«
»Könnt Ihr uns helfen?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht …«
Mit hörbarer Verzweiflung sagte sie: »Ich muss sie von hier wegschaffen, Euer Gnaden. Ich muss sie unbedingt in Sicherheit bringen. Irgendwohin, wo es keine Suzerain gibt.«
»Wie heißen sie?«, fragte er, als ihm einfach nichts Tröstendes einfallen wollte.
»Martyrium, Elend und Misere«, sagte Boots und sah kurz und kummervoll ihre Babys an. »Elyssa hat die Namen ausgesucht.«
Sie richtete ihren gequälten Blick wieder auf Stellan. Die perfide Ironie des Schicksals kam ihm zu Bewusstsein. Einst hätte er Boots alles geben können, was sie begehrte, doch sie war weggelaufen. Nun befand sie sich hier und war einmal mehr von ihm abhängig.
Und ausgerechnet jetzt, wo er so gut wie nichts für sie tun konnte, brauchte sie ihn am meisten.
Stellan nickte und packte sie aufmunternd an der Schulter. »Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde dir helfen, Boots. Und deinen Kindern. Und Warlock auch, wenn ich kann. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
Boots umarmte ihn spontan. »Ich danke Euch, Euer Gnaden.«
Er tätschelte sie verlegen, lächelte und hoffte, dass er zuversichtlich wirkte. Und fragte sich, wann er es endlich lernen würde. Er musste wirklich aufhören, Versprechungen zu machen, von denen er gar nicht wusste, wie er sie halten sollte.
56
»Beende es jetzt!«
Zum dritten Mal in den letzten paar Tagen erwachte Declan mit Arkady in seinen Armen, nur dass er diesmal sein Glück nicht in Frage stellte. Er öffnete die Augen, blinzelte ins Sonnenlicht, das unerwartet durch das Fenster flutete, und fragte sich, was ihn geweckt hatte. Arkady schlief fest, mit dem Rücken an ihn gekuschelt. Ihr Atem ging tief und gleichmäßig, und als er sich auf seinen Ellbogen stützte, sah er ein leises Lächeln um ihre Lippen spielen.
Declan blinzelte in Richtung Tür. Dort stand Cayal mit verschränkten Armen an den Türrahmen gelehnt und
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