Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
abgenommen hatte, und runzelte die Stirn. Sehr ärgerlich, wie fruchtlos diese ganze Übung gewesen war. Eine volle Stunde hatten sie damit vertan, sie auszuziehen und ihre Habseligkeiten gründlich zu durchsuchen, und dabei war rein gar nichts herausgekommen. Wütend trat er in den Haufen, und ein Teil des Krempels segelte seinen Eigentümern nach in den Abgrund.
»Oh, das war jetzt aber wirklich ein Zeichen von Reife.«
In einem jähen Zornausbruch, der vor allem seiner Schwester galt -aber ihr konnte er nichts tun, schließlich war sie unsterblich – brüllte Tryan auf und griff in den Strom der Gezeiten. Sein Wutanfall ließ den Rand der Klippe bersten. Felsbrocken lösten sich, taumelten den jämmerlichen Habseligkeiten hinterher und wurden zu einer Lawine, die die Gräber der erbärmlichen Sterblichen versiegelte, bis keine Spur von ihnen blieb.
Elyssa fuhr zurück und kreischte, fast hätte sie das Gleichgewicht verloren. Dann fauchte sie ihren Bruder an. »Hast du dich endlich ausgetobt?«
»Schau mich nicht an, als wäre ich ein Idiot, Lyssa«, sagte Tryan. »Wer die Gezeiten beherrscht … regiert die ganze Welt.«
TEIL I
Die Gezeiten folgen unaufhaltsam ihrem Lauf.
James Howe (1594-1666)
1
Vom Stampfen des Schiffes war Arkady speiübel. Zwar war sie oft auf den Großen Seen von Glaeba gesegelt, aber das war gar nichts im Vergleich zum Rollen und Schlingern eines hochseetüchtigen Sklavenschiffs auf dem offenen Meer. Es verbesserte die Lage nicht, dass sie mit fünf anderen Frauen in einer engen, niedrigen Kajüte zusammengepfercht war, die eigentlich selbst bei äußerster Bescheidenheit höchstens zwei Personen fasste.
»Nimm deinen Ellbogen aus meinen Rippen, du Schlampe, oder ich schlag dich windelweich«, drohte jemand schläfrig. Die Bemerkung galt nicht ihr. Obwohl sie in der dunklen, unbeleuchteten Kajüte kaum etwas sehen konnte, wusste sie doch, dass sie steif ausgestreckt auf dem Boden lag, mit Saxtyn links von sich und Alkasa, der Jüngsten der Gruppe, auf ihrer rechten Seite. Beide Frauen schliefen tief und fest.
Arkady konnte nicht schlafen. Sie hatte seit der Abfahrt aus Elvere kaum ein Auge zugetan. Wenn ihr die schmerzende Brandwunde auf ihrer Brust nicht den Schlaf raubte, zermarterte sie sich den Kopfüber ihr bevorstehendes Schicksal als Sklavin und die Frage, wie ihre Zukunft aussehen mochte.
Es war schön und gut, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, in der Sklaverei an der Tagesordnung war. Sich als einstige Herrin unvermittelt in der Rolle der Sklavin wiederzufinden, stand auf einem ganz anderen Blatt. Ein Teil von Arkady wollte sich am liebsten zu einem Knäuel zusammenrollen und sterben, und das lag nicht an den überfüllten, stinkenden Quartieren unter Deck, deren einzige sanitäre Einrichtung in einem selten geleerten Kübel bestand. Es lag nicht an dem grützenartigen Schleim, der einmal am Tag an die Gefangenen ausgeteilt wurde, oder an dem abgestandenen, brackigen Wasser, das gegen den Durst der Sklavinnen nur wenig ausrichtete, weil die meisten davon Durchfall bekamen. Es lag nicht einmal daran, dass sie gebrandmarkt worden war wie eine Zuchtstute.
Nein, für Arkady Desean war das Schlimmste die absolut unerträgliche Erkenntnis, dass sie nun Eigentum eines anderen war – dass sie ab jetzt lediglich einen Warenwert darstellte, und selbst den nur für ihren fernen, gesichtslosen Besitzer.
Die anderen Sklavinnen hatten sie darüber aufgeklärt, dass ihr Eigentümer ein gewisser Filimar Medura war, ein begüterter senestrischer Sklavenhändler. Er besaß nicht nur sie, sondern auch alle anderen Sklavinnen an Bord nebst dem gesamten Schiff. Ihren Kajütengenossinnen zufolge unterhielt er eine ganze Flotte von Sklavenschiffen. Genau genommen stammte der Reichtum der sehr vermögenden Familie schon seit Menschengedenken aus dem Handel mit lebender Ware, sowohl Menschen als auch Crasii.
Wieder schlingerte das Schiff heftig. Arkady wand sich auf den harten Planken, ohne Erleichterung zu finden, denn das Gewicht von Alkasas schlafendem Körper machte es ihr unmöglich, sich umzudrehen, und die stickige Hitze nahm ihr den Atem. Ein Geräusch lenkte sie ab. Es kam von oben. In der Kajüte war eine kleine Luke, die offen stand, um einen Hauch frischer Luft einzulassen. Viel nützte es nicht, weder gegen den Gestank noch gegen das Gefühl, langsam zu ersticken.
Sie hatte versucht, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass es auf dem Schiff vielleicht jemanden
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