Falsch gespielt: Kriminalroman (German Edition)
abgesehen davon, dass sie offensichtlich dort verhungern sollte, ist sie auf jede denkbare Art misshandelt worden. Er hat sie halb tot geprügelt.«
»Und vermutlich auch vergewaltigt«, ergänzte Gerdin. »Konntet ihr mit ihr sprechen?«
»Nein. Sie war bewusstlos. Aber Lara hat etwas zu erzählen.«
»Lara?«
»In einem Holzbrett haben wir Einritzungen gefunden, die wie russische Buchstaben aussehen. Kannst du herausfinden, was sie bedeuten?«
»Klar. Schickst du sie mir als Bild?«
»Schon auf dem Weg. Bis dann.«
Kurz darauf piepste ihr Handy, und plötzlich saß Gerdin mit den eher ungewohnten Werkzeugen Papier und Bleistift an ihrem Schreibtisch und versuchte, die kyrillischen Buchstaben abzuzeichnen.
папа Иды
Für einen Laien war es fast unmöglich, sich vorzustellen, wie diese Wörter ausgesprochen wurden oder was sie bedeuteten. Zumindest schien es sich um zwei Wörter zu handeln. Woraus an und für sich auch mehr oder weniger werden konnten, wenn man sie in eine andere Sprache übersetzte.
Sie begann im Internet nach einem Übersetzungsprogramm zu suchen, das Russisch und Schwedisch beherrschte, und fand direkt ein paar Angebote. Das Problem bestand darin, dass ihr keine Methode einfiel, wie sie die russischen Zeichen über ihre Tatstatur eingeben konnte. Nachdem sie eine Weile herumgegoogelt hatte, fand sie eine Anzahl interessanter Tipps zum Thema ASCII-Konvertierung bei Windows, gelangte zu ihrer eigenen Verwunderung allerdings plötzlich zu der Einsicht, dass sie sich vielleicht nicht unbedingt zu einer Programmiererin mit Schwerpunkt Zeichentabellen weiterbilden musste, um dieses mutmaßlich einfache Problem zu lösen. Stattdessen schrieb sie »Übersetzung Russisch« in das Suchfeld bei Google, worauf sie als Erstes auf einen Artikel in Dagens Nyheter gestoßen wurde, in dem es um eine Frau ging, die beim staatlichen Fernsehsender SVT arbeitete und unter anderem russische Fernsehprogramme ins Schwedische übersetzte. Mehr brauchte sie eigentlich auch nicht. Also rief sie bei SVT an und ließ sich mit der Übersetzerin verbinden.
»Malin Westfeldt.«
»Mein Name ist Hedvig Gerdin und ich bin Kriminalinspektor bei der Polizei in Hammarby. Ich bräuchte Ihre Hilfe, wenn das möglich ist?«
»Klar, kein Problem. Worum geht es denn?«
»Um eine Übersetzung. Aus dem Russischen ins Schwedische.«
»Umso einfacher. Da kenne ich mich ein bisschen aus.«
»Das dachte ich mir schon. Es geht nur um zwei Wörter. Kann ich sie Ihnen aufs Handy schicken?«
»Natürlich«, sagte Malin Westfeldt und gab ihr unaufgefordert ihre Telefonnummer durch.
Sie hatte eine sehr sympathische Stimme. Vielleicht verdiente sie sich hin und wieder als Wetteransagerin etwas dazu, dachte Gerdin, während sie die Mitteilung weiterversendete, die sie kurz zuvor von Westman bekommen hatte. Über das Telefon hörte sie es piepsen, als die kyrillischen Buchstaben ihre Adressatin erreicht hatten.
»Da ist es«, sagte Malin Westfeldt, und es vergingen ein paar Sekunden, bevor sie fortfuhr. »Das ist einfach«, sagte sie fröhlich. »Sehr einfach.«
*
Lange, lange blieb sie draußen im Wald sitzen, bevor sie ihre Kräfte zusammennahm und aufstand. Die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter, als sie zu ihrem Moped zurück ging. Sie warf die Zweige fort, mit denen sie es bedeckt hatte, und setzte den Helm auf. Eigentlich konnte sie genauso gut darauf verzichten. Was spielte es schon für eine Rolle, wenn ihr etwas passierte? Das Leben würde ohnehin nie wieder so sein, wie es war. Alles war zerstört. Wenn sie das Moped nicht gehabt hätte, wäre sie ihm auch nie gefolgt und Zeugin dieses schrecklichen Ereignisses geworden. Dann hätte sie den Rest ihres Lebens glücklich und ahnungslos verbracht, ohne zu wissen, was mit der armen Lara passiert war. Denn was auch immer geschehen war, sie würde niemals zurückkommen.
Was sollte sie jetzt tun? Einen Riesenwirbel in Herrängen auslösen und zur Polizei gehen? Das Leben von vielen Menschen zerstören, indem sie alles ans Licht brachte? Denn es war ja nicht nur er, der ins Verderben gezogen würde, es betraf ja auch alle, die ihm nahestanden. Sie setzte sich auf das Moped und fuhr nach Hause. Zuerst war sie nur traurig. Verzweifelt, wenn sie daran dachte, was Lara angetan worden war, wie es ihr in den zwei Wochen ergangen sein musste, die seit ihrem Verschwinden vergangen waren. Dann wurde sie wütend. Zuerst auf ihn, aber dann auf sich selbst. Weil sie so blauäugig
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