Falsch gespielt: Kriminalroman (German Edition)
Wahrscheinlichste ist. Und weil ich ihre Gegenwart nicht mehr spüre.«
Er wischte sich die Handflächen an der Hose ab. Ein Zeichen, immerhin, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte.
»Sie wissen also nicht sicher, dass sie tot ist?«
Jenner antwortete nicht, warf ihr nur einen müden Blick zu.
»Sie sind sich bewusst, dass damit in den vergangenen Jahren in Ihrem allernächsten Umkreis drei Menschen ums Leben gekommen wären?«, fuhr Westman fort. »Finden Sie das nicht auffällig?«
Er seufzte.
»Ich nehme an, dass es sich bei der dritten Person um Marie handelt? Sie hat sich das Leben genommen, nachdem Sie das letzte Mal hier Ihrer Arbeit nachgegangen sind.«
»Das tut mir aufrichtig leid. Aber könnten Sie mir das bitte genauer erklären?«
Zum ersten Mal schaute er weg, ließ seinen Blick aus dem Fenster wandern. Aber er antwortete auf dieselbe Weise wie bisher. Ruhig, sachlich und mit einer gewissen Resignation.
»Nachdem Lara verschwunden war, wurde die ganze Familie einem ungeheuren Druck ausgesetzt. Zuerst durch die Trauer und die Verzweiflung darüber, dass wir sie vielleicht für immer verloren hatten. Dann durch die wiederholten Verhöre und Unterstellungen seitens der Polizei. Und am Ende auch durch die abwartende Haltung in unserem Umfeld. Unausgesprochene Verdächtigungen. Die Gerüchteküche. Der ganze Klatsch und Tratsch.«
»Für immer verloren?«, fragte Hamad nach. »Hatten Sie das Gefühl, als würden Sie sie besitzen?«
Jenner betrachtete ihn mit einer Spur Mitleid im Blick. Oder war es vielleicht Nachsicht.
»Man kann einen anderen Menschen nicht besitzen«, antwortete er. »Aber wir waren Laras Eltern, wenn sie hier war. Und wir waren dabei, sie zu adoptieren.«
»Sie wollten sie adoptieren?«
»Ja. Und unsere Gefühle für sie waren dabei, sich dieser Situation anzupassen. Wir haben Lara geliebt. Ihr Verschwinden hat uns von innen aufgefressen, aber Marie hat es am härtesten getroffen. Gut ein Jahr, nachdem wir Lara verloren hatten, gab sie auf. Um aufrichtig zu sein, glaube ich fast, dass sie die Vorwürfe gegen mich härter getroffen haben als der Verlust von Lara. Denn mit der Trauer lernt man zu leben, aber nicht mit der Scham.«
»Es war also nicht so, dass Marie Sie verdächtigt hätte?«, legte Westman nach, aber Jenner nahm die Frage mit Fassung, während seine Blicke sich noch immer irgendwo draußen vor dem Fenster verloren.
»Das Gerede hat sie nicht unbeeindruckt gelassen. Aber sie kannte mich. Sie wusste, dass ich zu so etwas nicht in der Lage war, und …«
»Wozu genau?«, unterbrach ihn Hamad.
Jenner kehrte in die Gegenwart zurück, schaute ihm in die Augen, während er antwortete.
»Zu einem Verbrechen.«
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Nicht dieses Mal.
»Und es gab auch andere, die genauso von meiner Unschuld überzeugt waren. Alle, die mich gut kannten. Svempa, zum Beispiel. Er ist die ganze Zeit für mich da gewesen. Also, warum sollte ich seinen Tod gewollt haben?«
»Vielleicht, weil er seine Meinung geändert hatte«, antwortete Hamad.
Die Worte blieben in der Luft hängen. In dem Raum mit all den Fotografien. Niemand sagte etwas. Für eine Weile war es vollkommen still, keine Stimmen, keine Hintergrundgeräusche. Es musste ein einsames Leben sein, wenn man Staffan Jenner war, dachte Hamad. Witwer, die Kinder aus dem Haus. Eingerahmt von Trauer und Betrübnis. Der letzte Bewohner eines Hauses voller Erinnerungen. War es das, was ihn hier hielt? War es nicht genau das, was sich Staffan Jenner selbst während seines kleinen Zusammenbruchs während ihres ersten Gesprächs gefragt hatte? Schließlich brach Westman das Schweigen.
»Dann darf man wohl davon ausgehen, dass Sie nun auch zu Adrianti halten werden?«
Es war nur der Hauch einer Veränderung. Eine kleine Unsicherheit, die durch seine Augen huschte, ein leichtes Zittern in der Stimme, als er antwortete.
»Selbstverständlich. Selbstverständlich werde ich das tun.«
Hamad wurde von einem plötzlichen Impuls ergriffen, sofort die Hundestaffel anzufordern. Vielleicht konnte Staffan Jenner das Haus gar nicht verlassen? Vielleicht würde der Verkauf der Immobilie ein so großes Risiko für ihn darstellen, dass es unvorstellbar war?
Montagnachmittag
Erneut saßen Sjöberg und Gerdin in der gemütlichen Küche der Familie Erlandsson. Dieses Mal hatten neben Adrianti und Ida auch die ausgeflogenen Kinder an dem großen runden Tisch Platz genommen. Rasmus war fünfundzwanzig
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