Falsch
dem Torffeuer des Kamins von damals. Wieder waren dreißig Jahre vergangen, und er musste sich eingestehen, dass er Heimweh hatte. Nach Kairo und der Wüste, nach der Weite und dem Meer. Er holte den Dollar aus der Tasche und drehte ihn zwischen den Fingern. Die alte Münze blinkte matt im Mondlicht.
Mit einem Mal wusste Finch, dass er zurückgehen würde.
Nach Hause.
Nach Nordafrika.
Fünf Millionen wären ein gutes Startkapital, schmunzelte er und trank den letzten Schluck. Dann stand er auf, steckte die Münze ein und machte sich auf den Weg ins Bett.
Da war nur noch die Geschichte mit dem stilvollen Tod …
Aber vielleicht könnte man den noch ein wenig aufschieben.
Vorfeld,
Flughafen Franz Josef Strauß, München/Deutschland
Christopher Weber war müde und unaufmerksam.
Nach knapp fünf Stunden Schlaf war es kein Wunder, dass er das Gefühl hatte, sein Gehirn sei in Watte gepackt. Ein zappeliger Martin hatte ihn am Morgen eine halbe Stunde zu früh geweckt, weil er den Porsche bei Tageslicht bewundern wollte. Daraufhin war Chris fluchend im Halbschlaf in den Garten getorkelt, hatte den Turbo aufgesperrt, den Schlüssel vorsorglich eingesteckt und sich wie ein Schlafwandler wieder zurück ins warme Bett getastet.
Es gab Nächte, da geizte man mit jeder Minute …
Die kurze Fahrt zum Flughafen hatte Chris dann zwar die Spinnweben aus dem betäubten Hirn geblasen, aber die Watte war geblieben. Jetzt stand er vor einem Airbus aus Kairo, bis zum Rand gefüllt mit Tonnen von Fracht und zahllosen Koffern, und wünschte sich, es gäbe ein System zur vollautomatischen Selbstentladung. Zu viele Schichtdienste, dachte sich Christopher, kombiniert mit zu wenig Schlaf waren eine mörderische Kombination.
»Willst du endlich die Hände aus den Taschen nehmen, oder wartest du auf das Schichtende?« Die Stimme der Ramp-Agentin der Lufthansa schnitt durch die Watte wie ein glühender Draht. Sie war eine kleine, drahtige Mittvierzigerin mit betoniertem Pagenschnitt, die in einem ihrer früheren Leben der ungekrönte Star im römischen Circus Maximus gewesen sein musste.
»Die Löwen haben bestimmt panisch nach einem Ausgang aus der Arena gesucht, als sie dich kommen sahen«, murmelte Chris.
»Wir haben nicht einmal fünfundfünfzig Minuten Bodenzeit, und wenn du weiter so trödelst, dann campieren die Passagiere vor dem Gepäckband, bis sie ihre Koffer auftauchen sehen. Mit Grill und gekühlten Getränken.« Renate war heute offenbar ganz und gar nicht gut drauf. »Wo bleibt die Verstärkung?«
»Schon angefordert«, gab Chris kurz angebunden zurück. »Muss jede Minute hier sein.« Wie auf Stichwort bog einer der kleinen Elektro-Karren mit einem Dutzend Anhängern von der Fahrbahn ab und schwenkte in Richtung Airbus. Zwei zusätzliche Loader standen auf dem Zugfahrzeug und machten eine Grimasse, als sie Renate sahen.
»Es gibt Tage, da bleibt einem nichts erspart«, meinte der eine, als der Zug aus Gepäckwagen zum Stehen kam.
»Hallo Renate, wo hast du heute deine Reitgerte?«, rief der andere der Ramp-Agentin zu, während er vom Trittbrett sprang. Dann zwinkerte er Chris zu. »Die föhnt sich die Haare zur Abhärtung hinter den laufenden Triebwerken.«
Mehmet, ein in Bayern geborener Türke, der sein Studium ebenfalls als Loader verdiente, lenkte geschickt das fahrbare Gepäckband an den Airbus. »Ey, Renate, braucht du hart? Geb ich dir voll konkret krasse Tipp. Kuckstu in Zeitung und so! Spalte ›türkisch Mann‹!«
Chris musste grinsen. Mehmet studierte Sprachwissenschaften und Germanistik in München und sprach besser Deutsch als alle auf dem Vorfeld und wahrscheinlich im gesamten Flughafen.
Aber bei Renate biss er auf Granit. Die kleine Frau in der blauen Uniform ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Mit einem mitleidigen Lächeln kam sie näher und baute sich vor ihm auf. »Ey, Mehmet, was geht? Wenn du nicht voll konkret ganz schnell die Scheißkoffer aus dem Flieger reißt, dann kuckstu in Zeitung unter ›türkisch tot‹.«
»Voll krass«, konterte Mehmet. »Dann werde ich mich nun den drastischen Aufforderungen des Ground Captains fügen und die Fracht mit der gebotenen Schnelligkeit entladen.«
»Ich schwör, Alta, is bessa so«, gab Renate mit steinernem Gesichtsausdruck zurück und schaute demonstrativ auf die Uhr. »Und konkret voll auf Speed. Red isch kein Deutsch, oda was?«
»Mit der kannst du ruhig Kirschen essen gehen«, raunte Chris Mehmet zu und nahm die ersten Koffer vom
Weitere Kostenlose Bücher