Falsch
ist auch der Grund für unser heutiges Diner.«
Natalja sah ihn völlig verwirrt an. »Jetzt verstehe ich noch weniger«, murmelte sie. »Was habe ich damit zu tun?«
»Mehr als Sie denken«, gab Kronstein vergnügt zurück. »Ich möchte, dass Sie den Vorsitz der Stiftung übernehmen, sich um die Einrichtung der Schule kümmern, das Personal und den Lehrkörper einstellen und schließlich den ersten Schüler einschreiben.« Er machte eine Pause. »Alexej Fürst Demidow.«
Natalja war wie vom Donner gerührt. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, und mit großen Augen blickte sie Kronstein unverwandt an.
Der alte Mann griff gerührt über den Tisch, legte seine Hand auf ihre und drückte sie leicht. »Sie schaffen das schon, glauben Sie einfach an sich. Und vertrauen Sie mir.«
Villa Kandel,
Altaussee, Steiermark/Österreich
Soichiro Takanashi genoss die Aussicht auf das Ausseer Land jeden Tag aufs Neue. Er hatte die Villa damals auch deswegen gekauft, weil zu dem Haus und der Terrasse ein parkähnlicher Garten gehörte, der ihm einen gewissen Grad an Abgeschiedenheit und Privatsphäre bescherte. Takanashi wollte nicht, dass ihm seine Nachbarn auf die Finger sehen konnten.
So hatte er die Büsche und Hecken nie zurückschneiden lassen, was dem Garten von außen einen eher verwilderten Eindruck verlieh, seinen Besitzer andererseits sehr effektiv vor neugierigen Blicken abschirmte. Rund um die riesige, mit Natursteinen gepflasterte Terrasse, die ihm einen unvergleichlichen Blick auf den See ermöglichte, war der Garten allerdings sorgsam gepflegt, und die Kieswege, die zu dem dunklen Holzhaus führten, waren makellos.
Seinen Gärtner hatte Takanashi bereits vor Jahren sehr sorgfältig ausgesucht. Es war ein alter Mann, der in der Nähe wohnte und für sein Hobby – seltene Pflanzen und vollbiologisches Gemüse – lebte. Der Japaner hatte ihm erlaubt, ein Glashaus zu bauen, die Beete nach seinen Vorstellungen anzulegen und ansonsten zu schalten und walten, wie immer er es für gut befand. Zwei Bedingungen hatte er jedoch dem Alten gestellt: Er solle die äußeren Büsche wachsen und sprießen lassen und die Villa niemals betreten. Beides fiel dem alten Gärtner nicht schwer. Er liebte englische Gärten, und Neugier gehörte nicht zu seinen Schwächen. Takanashi zahlte darüber hinaus gut und war die Hälfte der Zeit sowieso nicht in Altaussee anzutreffen. Somit hatte der alte Mann einen eigenen Garten, den er hegte und pflegte und der sein ganzer Stolz war.
Ein großes Glas Tonic in der Hand, wanderte Takanashi nachdenklich zu den großen, weißen Sonnenschirmen, unter denen sich eine riesige Sitzgarnitur mit Bänken und Fauteuils für zwanzig Personen erstreckte. Die weißblau gestreiften Kissen leuchteten einladend, aber der Japaner schlenderte daran vorbei, bis an den Rand der Terrasse, wo er sich an die Brüstung lehnte und die warmen Strahlen der Mittagssonne genoss. Der Blick auf das Dachstein-Massiv, das sich schneebedeckt im See spiegelte, war eine Postkartenidylle. So sehr er Japan liebte, so musste er sich doch eingestehen, dass der strategische Platz im Herzen Österreichs zugleich einer der schönsten war, an dem man leben konnte.
Mit halbem Ohr hörte Takanashi den Gärtner im Glashaus arbeiten, mit Blumentöpfen hantieren. Der September neigte sich dem Ende zu, und manchmal kam der Winter in den Bergen schnell und überraschend. Nicht winterharte Pflanzen mussten dann rasch ins Warme gebracht werden, um nicht in den ersten Nachtfrösten zu erfrieren.
Der Japaner hatte dafür kein Verständnis.
Pflanzen konnten leicht wiederbeschafft werden, ebenso wie Menschen. Sie waren Material, das man kaufte, wenn man es benötigte, und sobald es zu Grunde ging, gab es genügend Nachschub. Humanismus war in Takanashis Augen ein Luxus, dem nur Schwächlinge frönten. Ein Luxus, der den Untergang Europas besiegeln würde, wenn sie hier auf diesem Kontinent nicht rasch die Lektionen der Mujaheddin, der Chinesen oder der Yakuza lernten.
Takanashi fragte sich angesichts der neuesten Wirtschaftszahlen und der Tatsache, dass China die zweite Weltmacht hinter den USA geworden war, warum niemand tiefer schürfte. War es Blindheit oder Vermessenheit? War es die pure Überheblichkeit der westlichen Kulturen? Hatte niemand begriffen, dass 1,5 Milliarden Menschen, zum Wohlstand entschlossen in einem Kapitalismus ungeahnten Ausmaßes, eine Welle darstellten, die keiner mehr würde aufhalten können? Europa würde
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