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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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über kurz oder lang zu einem Museum verkommen, einem Reiseziel organisierter chinesisch-asiatischer Massenreisen, einem riesigen Disneyland mit echten Bewohnern, abhängig von Waren und Kapital aus China, geleitet von Wirtschaftstycoonen aus Peking und Shanghai.
    Das hatten einige vorausschauende Oyabun, die patriarchalischen Führer der Yakuza, bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten erkannt und ihre Einflusssphäre auf Europa ausgeweitet. Umsichtig und konsequent waren sogenannte Schläfer nach Amsterdam und Paris, dann nach London und Frankfurt am Main gebracht worden. Gleichzeitig hatte die Organisation diskret ihre ersten Stützpunkte errichtet und begonnen, Netzwerke zu spinnen. Während alle Augen auf die italienische Mafia gerichtet waren, schossen japanische Sushi-Restaurants in ganz Europa wie Pilze aus dem Boden. Ihre Geheimsprache und ihr Auftreten als japanische Geschäftsleute, ihre strikte Hierarchie und erbarmungslose Grausamkeit hatten jahrhundertelang den Aufstieg der Yakuza gesichert.
    Europa war ein weiterer Schritt zu einer weltumfassenden Macht.
    Im Gegensatz zu den historischen Anfängen, als die Yakuza ein Robin-Hood-Image hatten, den Reichen nahmen und den Armen gaben, gehörte Humanismus heute nicht mehr zu ihrer Philosophie. Entstanden aus den Glücksspielsyndikaten vor rund vierhundert Jahren, hatten »die Wertlosen«, wie Yakuza sinngemäß übersetzt hieß, nach und nach wie ein Pilzgeflecht Japan unterwandert. Es gab so gut wie keine legale oder illegale Aktivität, die nicht irgendwo eines der Tätigkeitsfelder der Organisation tangierte. Ihrer größten Gruppe, der Yamaguchi-gumi, gehörten mehr als zwanzigtausend Mitglieder an. Deren Anführer war wild entschlossen, auf dem europäischen Kontinent den alten Erzfeinden, den Chinesen, die Stirn zu bieten. Das war den Yakuza bereits in Südkorea und Thailand gelungen, während sie in den USA gescheitert waren. Die Vereinigten Staaten waren pleite, die Wirtschaft strauchelte, immer mehr Menschen mussten ihre Häuser verkaufen, während China in wenigen Jahren zum Hauptgläubiger avanciert war.
    Der Dollar hing am chinesischen Tropf.
    Europa sollte einen anderen Weg gehen. Wenn schon ein Museum, dann eines, in dem die Yakuza Geld mitverdienen würden, indem sie ihre Erzfeinde schröpften.
    Zu diesem Zweck war auch Takanashi als Abgesandter der Oyabun in den Westen gegangen, zumindest zeitweise. Er sollte sich persönlich vom Fortgang der Unterwanderung überzeugen, die richtigen Leute an die wichtigen Stellen setzen, und konnte so nebenbei an Ort und Stelle seine Sammlung ergänzen und vervollständigen. Nach reiflicher Überlegung hatte er sich als Wohnort das idyllische Altaussee ausgesucht, im Herzen der Insel der Seligen, wie man Österreich auch nannte. Aber auch im Zentrum der Alpenfestung, jenem letzten, erträumten Rückzugsgebiet im Endstadium des Dritten Reiches.
    Leise vor sich hinmurmelnd, schob der Gärtner eine Schubkarre über den Kiesweg. Die Reifen knirschten auf den weißen Steinchen und holten Takanashi wieder in die Gegenwart zurück. Er blickte auf die Uhr und nickte kurz.
    Zeit für den Anruf.
    So drückte er die Wiederholungstaste, blätterte kurz in der Liste und wählte dann. Während er die Enten beobachtete, die ihre Spuren über den See zogen, wartete er auf das Läuten am anderen Ende der Welt.
    »International Freight Agency Gruber«, meldete sich eine gelangweilte weibliche Stimme. »Wir erledigen Ihre Speditionsaufträge immer schnellstens.«
    »Das hoffe ich«, gab Takanashi trocken auf Spanisch zurück. »Ich habe gestern bereits einmal angerufen und mit Señor Gruber gesprochen. Können Sie mich mit ihm verbinden?«
    »Sie scherzen!«, antwortete die Stimme ironisch. »Wissen Sie, wie spät es ist? Knapp nach sechs Uhr morgens, und das ist eine Zeit, zu der Señor Gruber noch im Tiefschlaf liegt. Also, ich würde Sie gern verbinden, aber er ist nicht im Büro, war heute noch nicht da. Meine Schwester und ich sind die Einzigen hier, die früh anfangen und spät aufhören.« Die Stimme klang keineswegs erfreut über die Tatsache.
    »Könnten Sie mir sagen, wann er normalerweise kommt? Kennen Sie seinen Terminkalender?«
    »Erste Antwort – das wüsste ich selbst gern«, bellte die Stimme schlecht gelaunt, »zweite Antwort – seinen was?«
    Takanashi wollte nachfassen, aber seine Gesprächspartnerin kam ihm zuvor. »Außerdem haben Sie schlechte Karten. Gestern Nachmittag stürmten ein paar Leute in sein

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