Falsch
schaute sich interessiert um. Er hatte seine historische Kleidung gegen einen rot-weißen Jogginganzug vertauscht, den er im Schrank der Gästewohnung gefunden hatte.
»Wo sind die anderen? Liegen die noch in den Hängematten?«, erkundigte er sich neugierig, als das Dienstmädchen auf die große Tafel in einer Ecke des großen Raumes wies.
»Die schlafen wahrscheinlich noch«, nickte das junge Mädchen lächelnd. »Sie sind gestern spät angekommen.«
Böttcher hatte bei seiner nächtlichen Ankunft der Security wohl oder übel seine Pistolen und seinen Säbel überlassen müssen, was ihm ein griesgrämig gemurmeltes »Passen Sie gut darauf auf, jetzt bin ich nackt …« entlockt hatte.
Fiona wiederum hatte spontan beschlossen, ihren Großvater nicht aufzuwecken. Dann hatte sie den ungläubig staunenden Vincente in einem der großen Gästezimmer im Nebenflügel untergebracht, während sie Alfredo eines der angrenzenden Zimmer zugewiesen und den Arzt verständigt hatte. Dr. Altamonte versprach, morgen früh vorbeizuschauen und selbstverständlich die Betreuung des Verwundeten zu übernehmen. Daraufhin hatte sie Böttcher in das leerstehende Appartement ihrer Mutter komplimentiert, bevor sie todmüde auf ihr Bett gefallen und sofort eingeschlafen war.
»Der Frühstückstisch wurde auf Anordnung von Senhorita Klausner hier im Wintergarten gedeckt«, meinte das Dienstmädchen zu Böttcher. »Bitte nehmen Sie Platz und bedienen Sie sich selbst am Buffet, frischer Kaffee kommt in einer Minute.« Sie lächelte erneut, als sie Sparrow beobachtete, der auf der Schulter Böttchers saß und sich neugierig umsah. »Und für Ihren gefiederten Begleiter finden wir sicher noch ein paar Nüsse. Ich werde jetzt Senhor Klausner wecken und ihm mitteilen, dass Sie bereits wach sind.«
»Nicht nötig, Margherita«, ertönte da eine leise Stimme vom Eingang her. »Alte Männer können meist schlecht sehen, sie hören stets das, was sie nicht hören sollen, und schlafen nur mehr kurz. Das haben wir gemeinsam, nicht wahr, Ernst?« Klausner rollte fast lautlos mit seinem Rollstuhl über die grünweißen Fliesen des riesigen Wintergartens, bevor er vor Böttcher stehen blieb und ihn aufmerksam ansah.
Für Minuten sprach keiner der beiden ein Wort.
Schließlich streckte Klausner seine Hand aus und sagte auf Deutsch: »Schön, dich wiederzusehen, Ernst. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das in diesem Leben nochmals sagen würde.«
Böttcher beugte sich vor und umarmte den hageren alten Mann im Rollstuhl herzlich. Sparrow flatterte auf, setzte sich nach einem kurzen Rundflug in eine der zahlreichen Palmen und begann sich zu putzen.
»Du bist schmal geworden, Willi«, meinte Böttcher leise, als er sich wieder aufrichtete. Zwei Tränen rannen über seine faltigen Wangen. »Dabei kann ich mir nicht vorstellen, dass die Rationen hier so schlecht sind. Wie lange ist es her?«
»Lange, ganz lange«, flüsterte Klausner und schloss die Augen. »Ein halbes Leben. Und ich hätte so gern …« Er verstummte, suchte nach Worten. Seine Hände öffneten und schlossen sich um seine kraftlosen Beine. Dann ließ er den Kopf hängen und schluchzte leise auf.
Böttcher nickte mitfühlend. »Ja, ich weiß, ich hätte auch alle so gern noch einmal gesehen … zusammen an einem Tisch, wie früher. Wir vier, Paul und Franz, du und ich. Doch wir hatten uns geschworen …« Er verstummte mit einem Mal. Dann meinte er leise: »Aber du weißt ja selbst, wie Paul war …«
»Ja, ich weiß. Je älter er wurde, umso verschlossener wurde er«, gab der alte Mann im Rollstuhl zurück. »Ich habe sogar einmal versucht, ihn in Muzo zu erreichen, aber er weigerte sich strikt, mit mir zu reden. Wann immer er in der letzten Zeit mit seinen Tauben anreiste, um sie zu trainieren, sprach er kein Wort. Er kam, ließ sie fliegen und verschwand wieder. Dann, eines Tages, drehte er die Flugrichtung um. Er hatte es geschafft, ihnen die Ziele anzutrainieren, frag mich nicht, wie. Paul hat es mir nie verraten. Also kam er fortan, um sie abzuholen. Ich hatte meinen Sicherheitsleuten die Anweisung gegeben, ihn jederzeit aufs Grundstück zu lassen. Paul und die Taube trafen stets fast zugleich ein. So musste er nicht länger bleiben als nötig.« Klausner schluckte schwer. »Er wollte mich niemals sehen, nicht ein einziges Mal.«
Böttcher ließ sich in einen Fauteuil der Sitzgarnitur sinken und legte den Kopf in die Hände. »So war es bei mir auch«, seufzte er leise,
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