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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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unerbittlich von Norden kommend über Sibirien schob, während sein Kopilot noch die letzten Startvorbereitungen traf und versuchte, die Warnlichter zu ignorieren, die in regelmäßigem Rhythmus aufblinkten.
    »Das gefällt mir gar nicht«, murmelte Juri Orlov, der dienstälteste Pilot des Innenministeriums, immer wieder. Ob er die Schlechtwetterfront oder die Warnlichter meinte, ließ er dahingestellt. Die Ilyushin war auf einer streng geheimen Mission. Eigentlich hätte sie niemals hierher nach Mirny fliegen dürfen, denn die Maschinen dieses Typs flogen in Russland nirgendwo mehr hin. Ende 2000 hatten die zuständigen Behörden nach einem spektakulären Unfall, bei dem ein Triebwerk während des Fluges von der Tragfläche abgebrochen war, ein kategorisches Flugverbot für die Ilyushin Il-76 verhängt. Zumindest bis zur Klärung der Unfallursache, und die lag noch in weiter Ferne, dank einer zähen Bürokratie und dem russischen Ermittlungssumpf.
    Trotzdem hatte die weiße Il-76 schweres, dick verpacktes Gerät nach Mirny geflogen, einem kleinen Ort in der Weite Jakutiens. Soldaten mit Kränen und Lastwagen hatten das Ausladen übernommen, nachdem ein Sicherheitskordon von schwer bewaffneten Eliteeinheiten rund um die Il-76 gezogen worden war.
    Niemand sollte die Maschinen sehen.
    Nach fünf Stunden waren sie fertig gewesen. Nun stand der Weiterflug nach Irkutsk an, und Orlov wünschte sich im Stillen, sie wären bereits da. Das Außenthermometer zeigte minus 22 Grad.
    Mirny, eine Bergarbeitersiedlung mit 35000 Einwohnern, lag am Rande eines riesigen Lochs im Boden und war der Arsch der Welt, wie sich Orlov drastisch ausdrückte.
    Für alle anderen war Mirny das Zentrum der russischen Diamantenförderung und die größte Mine der Welt. Mit einer Tiefe von 525 Meter und einem Durchmesser von 1200 Meter war der Tagbau inmitten des kleinen Ortes eines der größten von Menschenhand geschaffenen Löcher weltweit.
    Die wichtigste Abbaustätte Russlands war 1955 anlässlich einer Expedition im Auftrag Joseph Stalins von einer Geologin entdeckt worden. Seither lieferte die Mine Jahr für Jahr rund zwei Millionen Karat Diamanten. So war in über fünfzig Jahren Abbau ein riesiger Trichter in der Ebene Ostsibiriens entstanden, in dem Tausende Arbeiter nach den kostbaren Steine schürften. Doch es war eine mühselige und schwere Arbeit. Der harte, festgefrorene Boden musste mit Düsentriebwerken aufgetaut werden, um den Kampf gegen den Permafrost zu gewinnen. Ohne schweres Gerät ging gar nichts. Wenn all das versagte, dann wurden Tonnen von Sprengstoff herangekarrt. Die Explosionen rissen Sprünge in die Wände der Wohnhäuser.
    Doch die Diamanten waren wichtiger.
    Haushohe LKW s rollten fast rund um die Uhr über die ringförmig angelegten Straßen im Trichter und transportierten den Abraum hoch an die Oberfläche. Sie benötigten zwei Stunden für eine Fahrt, vom Grund des Lochs bis ganz nach oben. Die Mine war zur Flugverbotszone erklärt worden, nachdem mehrere Helikopter von den Luftströmungen in die Tiefe gesogen worden waren.
    Mirny war jedoch nicht nur einer der spektakulärsten Plätze der Erde, sondern auch einer der einsamsten. Die umliegende Taiga, mit ihren endlosen Wäldern und den meist gefrorenen, weiten Ebenen, war die Heimat der sibirischen Tiger, Wölfe und Bären. Ein menschenfeindliches Gebiet, das sich niemandem unterwarf.
    Orlov nannte es die eisige Hölle.
    Dieser Flug unterschied sich von allen anderen, die der langgediente Kapitän jemals im Auftrag des Innenministeriums durchgeführt hatte. Es gab keine Ladelisten, keine Flugpläne, keinen offiziellen Auftrag und keine Passagiere. Der Befehl war mündlich erteilt, die elf Mann Besatzung waren sorgfältig ausgesucht worden. Sie hatten zusätzlich zu ihrem Diensteid eine Erklärung unterschreiben müssen, dass sie niemals in Mirny gewesen waren und an diesem Tag jeder an einem anderen Ort einer anderen Beschäftigung nachgegangen war.
    Flug 202 gab es offiziell nicht und durfte es nicht geben.
    Als der Tower sich mit der Startfreigabe meldete, nickte Orlov seinem Kopiloten zu. Die Il-76 rollte auf die Startbahn.
    Die Crew hatte noch sechs Minuten und zweiunddreißig Sekunden zu leben.
    Orlov schob die Gashebel nach vorne, und die schwere Transportmaschine beschleunigte den Runway hinunter. Eine Böe erfasste die Ilyushin, doch Orlov korrigierte geschickt.
    Der Wintersturm schickte seine Vorboten voraus.
    Weit vor dem Ende der Startbahn zog Orlov am

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