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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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entfaltete die Generalstabskarte und legte sie neben sich auf den Beifahrersitz, über die MP 42 und vier Stielhandgranaten, die ihm Rösler zusammen mit einer Taschenlampe und einem Kompass mitgegeben hatte. Ganz oben darauf platzierte Claessen das Kuvert von General Kesselring mit dem Befehl Heinrich Himmlers. Dann warf er einen letzten Blick auf das dunkle Schloss, startete den LKW und rollte vom Hof.
    Die schmale, gewundene Straße durch die Weinberge hinunter ins Tal mündete in der Via Labers. Meran war menschenleer um diese Zeit, und Claessen steuerte den Opel über die verlassenen Straßen in die Stadt, über die Passer und schließlich auf die Jauffenstraße in Richtung Riffian und Passeier Tal.
    Es würde eine lange und gefährliche Fahrt werden. Doch wenn er mit seiner Fracht tatsächlich wohlbehalten in der Schweiz ankommen würde, dann wäre das Unternehmen »Sechsgestirn« eine unschätzbare Investition in die Zukunft.
    Allerdings in die Zukunft eines gewissen Heinz Claessen, seines Zeichens SS -Obersturmbannführer im Ruhestand und Nachkriegs-Privatier.

9
DER KELLER

11. April 1945,
Lager Haiming, Tirol/Ostmark
    Die Reihe gewaltiger Sprengungen tief in seinem Inneren ließ den gesamten Berg erzittern. Eine gewaltige Druckwelle raste durch die acht Meter breiten Stollen, brach sich an den Wänden, verzweigte sich in Nebenstollen. Steinsplitter sausten mit unglaublicher Wucht und Geschwindigkeit durch die Luft und trafen die völlig unvorbereitete Gruppe von Arbeitern wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wer von den Fels-Schrapnellen und dem Druck nicht niedergemäht worden war, der wurde von den nachfolgenden Steinmassen zerschmettert. Es war ein schneller, grausamer Tod, der unter Tage kam, weit weg vom Sonnenlicht und dem warmen Föhn, der im Frühling von den Bergen der Alpen ins Inntal wehte.
    Die engen Tunnelröhren vervielfältigten den Lärm der Explosionen wie ein Sprachrohr der Hölle. Nur langsam verebbten die Schallwellen, senkte sich der Staub. Nun türmten sich riesige Berge von Abraum an der Stelle der Sprengungen. In wenigen Minuten würden die ausgemergelten Gestalten kommen, Loren vor sich herschiebend, Schaufeln auf den Schultern. Wie die Ameisen hatten sie sich in den Berg gegraben, Kilometer von Gängen in den Fels gesprengt, Betonfundamente errichtet und Schienen verlegt, Seilbahnen gebaut und Rohrleitungen konstruiert, um das Wasser von den Bächen und Seen der Umgebung in den Amberg zu leiten.
    Wo die Gruppe von Arbeitern gestanden hatte, erhob sich nun ein Haufen Steine. Der Stiel einer Hacke ragte zwischen zwei Felsbrocken heraus, geknickt wie das Streichholz eines Riesen. Doch plötzlich bewegte sich einer der kleinen Felsen, wurde zur Seite gedrückt, rollte auf den Boden. Eine blutige Hand erschien, dann ein Oberkörper, an dem die gestreifte Häftlingskleidung in Fetzen hing. Die Kopfhaut war weggerissen worden, und eines der Ohren hing nur mehr an ein paar Fleischfasern. Der skalpierte Mann, zum Skelett abgemagert, sah aus wie ein lebender Totenkopf, mit fehlenden Lippen und nur noch einem Auge. Dann hob er mit einem Mal die Hand, streckte den Finger anklagend aus und krächzte: »Du Mörder! Elender Verräter! Abschaum der Menschheit …«
    Eine Hand rüttelte an seinem Oberarm, und Franz fuhr hoch, setzte sich auf, schweißüberströmt. Es war stockdunkel, und sein Mund war trocken. Der Terror fraß sich durch seinen Magen mit den spitzen Zähnen einer Meute Ratten.
    »Franz! Was ist denn los? Schrei nicht so laut! Du weckst noch alle auf …«, zischte eine Stimme an seinem Ohr.
    Ein dunkler Schatten beugte sich über das Bett.
    Der junge Soldat heulte auf. Ein Weinkrampf begann ihn zu schütteln, während sich seine Hände in die Decke krallten. »Ich kann nicht mehr«, schluchzte er wieder und immer wieder, »es geht nicht, ich kann es nicht … Willi, wo bist du? So hilf mir doch!« Seine Schultern bebten wie unter Stromschlägen.
    »Wir verstehen dich ja«, beruhigte ihn der Schatten, »es ist sicher bald vorbei … wir sind alle mit unseren Nerven am Ende. Aber es gibt keinen Ausweg. Noch nicht …«
    »Am liebsten würde ich sterben, einfach nur tot sein, wie alle, die in den Stollen zerfetzt worden sind«, stieß Franz hervor und tastete suchend nach seiner Waffe. »Schluss, aus, vorbei, ich kann nicht mehr … Und ihr könnt nicht mehr von mir verlangen! Schaut euch doch an! Wir haben alles verloren …« Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Unsere

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