Falsch
Dann würden die Bücher ungelesen bleiben. Und das ging gar nicht.
Das orangene Sofa an der Seitenwand des VW -Busses winkte ihm einladend zu. Als Antwort schnappte sich Chris einen 500-Seiten-Wälzer mit dem Titel Strategische Unternehmensführung , schaltete die Leselampe ein und setzte sich auf die Stufe in die offene Tür, seinem Stammplatz für schwierige Lektüren.
Die Garage dröhnte von den rein- und rausfahrenden Wagen. Nach einem Jahr hier unten kannte Chris alle Geräusche, die aus den anderen Etagen drangen. Sein Stockwerk füllte sich erst, wenn alle anderen Parkplätze bereits belegt waren. Und selbst dann fand man dank der verwinkelten Architektur seinen Bulli in der hintersten Ecke bloß nach einigem Suchen, was Christopher nur recht sein konnte.
Er hatte keine halbe Stunde gelernt, als ihn Schritte aufhorchen ließen. Stöckelschuhe auf dem Asphalt der Garage. Und sie kamen näher. Genauer gesagt waren es zwei Paar, und dann hörte Chris auch schon die Stimme von Sabine, die ironisch meinte: »Willkommen in Ali Babas Räuberhöhle! Allerdings sind die Schätze schon lange nicht mehr da, und man kommt auch ohne ›Sesam öffne dich‹ hinein. Eine Parkkarte genügt.«
Chris runzelte die Brauen. Gefahr im Verzug. Sabine um diese Zeit in Begleitung eines anderen weiblichen Wesens konnte nichts Gutes bedeuten. Andererseits – ein Entkommen war nicht möglich. Also fügte er sich ins Unvermeidliche.
Wie eine Walküre in Lufthansa-Uniform mit wehenden langen Haaren bog Sabine um die Ecke, begleitet von einer schlanken, hochgewachsenen jungen Frau, die Chris nicht kannte. Sie trug einen eleganten Hosenanzug, der Haute Couture auf eine dezente Art als Lebensanschauung ausstrahlte. Die dunkelbraunen Haare waren kurz geschnitten, das blasse, schmale Gesicht verriet ihre Unsicherheit.
Ihre Schuhe müssen mehr gekostet haben, als ich in einem Monat verdiene, schoss es Chris durch den Kopf, als er das Buch zur Seite legte und den beiden Frauen entgegensah.
»Sieh da, der Räuber ist persönlich anwesend«, lächelte Sabine maliziös. »Hier kommt Besuch für dich.« Und an ihre Begleiterin gewandt: »Sie finden den Weg zurück?«
Die junge Frau nickte lächelnd. »Danke für Ihre Hilfe. Ich hoffe, ich kann mich irgendwie bei Ihnen erkenntlich zeigen …«
Sabine winkte ab und dann Chris zu, bevor sie wieder zwischen den geparkten Autos verschwand.
Der junge Loader war verwirrt und elektrisiert. Für diese Stimme wäre er bis zum Horizont gegangen und noch ein Stück weiter. Aber er hatte keine Ahnung, wer diese Frau war und warum Sabine sich so schnell wieder aus dem Staub machte. Das sah ihr ganz und gar nicht ähnlich.
Die junge Frau nahm ihre Handtasche in beide Hände und schaute sich aufmerksam in der Garage um, warf einen langen Blick auf den Chevrolet, auf den Bulli mit Chris in der Schiebetür und trat dann langsam näher. Schließlich blieb sie vor Christopher stehen und legte den Kopf schräg.
»Bornheim. Bernadette Bornheim.«
»Weber. Christopher Weber.«
Chris versuchte auf cool zu spielen, was ihm kläglich misslang. Er war maßlos überrascht, und zugleich war es ihm einfach nur peinlich, dass die Tochter aus bestem Haus ihn hier so sah. Der Kontrast zwischen den Villen in Grünwald und seiner rollenden Behausung in der Garage des Flughafens hätte nicht größer sein können. Er sah Inga Bornheim und ihre Selbstsicherheit vor sich, das weitläufige luxuriöse Anwesen und wusste mit einem Mal nicht mehr, was er sagen sollte.
Komplettes Blackout.
Alles lief schon von Anfang an verkehrt, völlig verkehrt.
Das Schweigen dehnte sich wie ein Bungee-Seil über einem bodenlosen Abgrund.
»Als ich Sie das letzte Mal sah, hatten Sie weniger an und sprachen genau so viel«, versuchte Bernadette nicht gerade gewandt die Situation zu retten. Das war ihr Sekunden später auch bewusst, und sie blickte verwirrt zu Boden.
»Ähhh …«, stotterte Chris und dachte fieberhaft nach … »Ach ja, Sie meinen gestern auf dem Außenparkplatz. Da habe ich Sie leider verschlafen.« Er lächelte hilflos. Wohin war seine Schlagfertigkeit ausgewandert, ohne ihm etwas zu sagen?
»Ich wollte mich bei Ihnen bedanken …«, versuchte es die junge Frau aufs Neue, aber Christopher fiel ihr ins Wort.
Er sprang auf und deutete auf das orangene Sofa. »Wollen Sie sich nicht setzen?« Langsam kam er sich vor wie in einer schlechten Komödie.
Bernadette stieg ein und sah sich interessiert im Inneren des Bulli um.
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