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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Maria-Theresien-Talers?«
    Fiona drehte die große alte Münze zwischen ihren Fingern. Sie war abgenutzt, das Bild der Kaiserin verflacht. Der doppelköpfige Reichsadler auf der Rückseite trug ein fast unkenntliches Wappen auf seiner Brust, die Jahreszahl 1780 war nahezu unleserlich geworden.
    »Die Zeit und die Menschen haben ihre Spuren hinterlassen«, meinte sie leise.
    »Man nannte ihn auch ›Levantinertaler‹«, sagte Finch, »weil er in Nord- und Zentralafrika jahrhundertelang als harte Währung galt, selbst als er kein offizielles Zahlungsmittel mehr war. Länder kamen und gingen, Papiergeld war über Nacht nur mehr Makulatur, aber der Maria-Theresien-Taler behielt seinen Wert.«
    »Erzählen Sie mir die Geschichte?«
    Der Pilot nickte. »Der Algerienkrieg war einer der schmutzigsten Kriege, die Nordafrika jemals gesehen hat. Er dauerte acht Jahre, und es war eigentlich ein Zwei-Fronten-Krieg. Einerseits kämpften die Algerier um die Unabhängigkeit von Frankreich, andererseits tobte gleichzeitig ein Bürgerkrieg zwischen den algerischen Loyalisten und der Unabhängigkeitsbewegung. Die Franzosen ließen die Kolonie, die seit 1848 in ihrem Besitz war, nicht leicht gehen. Das Militär schlug mit voller Härte zu, über eineinhalb Millionen Franzosen kämpften in Algerien einen grausamen und erbarmungslosen Krieg. Folterungen, Morde, Vergewaltigungen und Massenerschießungen waren an der Tagesordnung. Fallschirmspringereinheiten, Fremdenlegion, Nahkämpfer, Scharfschützen – die Franzosen boten alles auf, was sie hatten, und warfen es in die Schlacht. So kam es, dass der FNL , der Front National de Libération, also die Unabhängigkeitsbewegung, eines Tages so gut wie am Ende war. Aber nach acht Jahren Krieg war auch die Stimmung in der französischen Bevölkerung umgeschlagen. Man war des Krieges müde, war bereit, die Unabhängigkeit Algeriens zu akzeptieren, die so viele Menschenleben gekostet hatte. So geschah es: Im Jahr 1962 wurde das Abkommen unterzeichnet, der Krieg beendet. Auch wenn in den Verträgen den französischen Siedlern im Land ihr Eigentum garantiert wurde, flüchteten sie doch in Massen nach Frankreich. Eine Repatriierungswelle schwappte über das Mittelmeer.«
    Finch streckte die Hand aus, und Fiona legte den Taler auf seine Handfläche. Die Münze blinkte in der Nachmittagssonne.
    »Aber das war noch nicht das Ende. Mehr als hundertfünfzigtausend Muslime, die sogenannten Harkis, die während des Krieges in der französischen Armee gedient und sich zur französischen Republik bekannt hatten, wurden nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags und der Unabhängigkeit von französischen Soldaten entwaffnet und ihrem Schicksal überlassen. Die Mehrzahl dieser Harkis wurde unter furchtbaren Umständen ermordet. Es gibt nur Schätzungen, aber Experten sprechen von hundertzwanzigtausend Toten. Nur einigen Zehntausenden gelang die Flucht nach Frankreich, wo sie keiner haben wollte, in ein Exil, in dem sie nie heimisch werden sollten.«
    Der Pilot sah nachdenklich auf die Münze in seiner Hand. »Ich flog damals für eine Frachtfluglinie Versorgungsgüter nach Algier, beinahe jeden Tag. Das Land war nach acht Jahren Krieg ausgeblutet, fast alle Ausländer waren entweder fort oder ermordet worden, ihre Güter verwüstet, ihre Arbeiter erschlagen. Gruppen von marodierenden Anhängern der FNL zogen mordend durch die Straßen, mit Macheten und Knüppel bewaffnet. Sie machten Jagd auf Harkis und deren Familien, auf alles, was auch nur im entferntesten an den verhassten Kolonialstaat erinnerte. Algier brannte an allen Ecken und Enden, ein Terrorregime feierte seine Revanche und nahm blutige Rache. Niemand flog damals gern nach Algier, also nahm ich den Auftrag an. Er war gut bezahlt.«
    »Und lebensgefährlich«, ergänzte Fiona.
    Finch zuckte die Achseln. »Das kümmerte mich nie wirklich, oder ich verdrängte es. Ich flog damals eine alte Douglas DC -3, die in den sechziger Jahren bereits ein Veteran war. Auf dem Rückflug nach Kairo war die Maschine immer leer, und wir testeten einfach so zum Spaß, was man mit einer DC -3 in der Luft alles anstellen konnte. Einmal schafften wir sogar ein Looping …«
    Der Pilot lachte, als er daran dachte, und schloss seine Hand um den Maria-Theresien-Taler. Dann wurde er mit einem Mal ernst.
    »An jenem Tag stand plötzlich ein alter Mann neben dem Flugzeug, ein Mädchen an der Hand. Ich weiß bis heute nicht, wie er bis auf das Flugfeld gekommen war. Er

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