Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
Vom Netzwerk:
blutete aus einer Kopfwunde, die nur notdürftig verbunden war. Aber die Augen des kleinen Mädchens – es mochte vielleicht zehn Jahre alt sein – waren das Schlimmste. Sie waren ausdruckslos, wie tot. Wenn ich heute daran denke, bekomme ich noch immer eine Gänsehaut. Der Mann stand da und starrte mich an, während ihm das Blut über die Wange rann. Die Hitze war unerträglich, und Fliegen schwirrten um seinen Kopf. In seinen Augen spiegelten sich Verzweiflung und Todesangst.«
    Finch machte eine Pause, und Fiona blieb stumm. Sie war in Gedanken auf einem Flugfeld in Algier.
    »Wir hatten das strikte Verbot, Flüchtlinge aus Algerien mitzunehmen. Harkis waren unerwünscht, überall. Man wollte sie vergessen, so schnell wie möglich. Sie waren Paria. Aber da standen dieser Mann und dieses Mädchen, und die Straßen von Algier waren voller Leichen.« Es klang wie eine Entschuldigung. »Ich wusste, dass es einen kleinen Verschlag in der DC -3 gab, in dem wir immer wieder kistenweise Alkohol und Gold schmuggelten. Darin verstaute ich die beiden, drückte ihnen eine Flasche Wasser in die Hand und schloss die Klappe. Ich rückte eine halbleere Kiste mit Ersatzteilen davor. Dann kam der FNL .«
    Finchs Augen wurden hart. »Sie schrien herum, berichteten von einem Flüchtling, der ihnen entwischt sei, fuchtelten mit Macheten und drohten, mich zu köpfen. Ich sagte ihnen, dass dann niemand am kommenden Tag Hilfsgüter und Medikamente nach Algier fliegen würde. Ich sei der Einzige, der wahnsinnig genug gewesen war, den Job zu übernehmen. Mein Kopilot Freddy Horneborg, ein Holländer, machte sich vor Angst in die Hose. Als sie das sahen, begannen sie zu lachen, klopften mir auf die Schulter und meinten, wir sollten morgen Schnaps mitbringen, am besten Whisky. Dann stürmten sie aus dem Flieger.«
    »Und dann?«
    » Business as usual . Wir flogen zurück. Der Zoll in Ägypten kannte uns, mochte uns und machte uns keine Schwierigkeiten. Wir wurden so gut wie nie kontrolliert, gaben an den richtigen Stellen Bakschisch und konnten damit rechnen, dass alle wegsahen, wenn es einmal eng wurde. So auch diesmal. Der Harki und seine Tochter tauchten in den Straßen von Kairo unter. Die Wochen vergingen, die nächsten Abenteuer kamen um die Ecke, der nächste Krieg, das nächste Drama. Ich vergaß die ganze Geschichte. Dann, etwa ein Jahr später, stand ich eines Tages an der Bar des Continental Savoy, als der Concierge mit einem Mädchen an der Hand in der Tür erschien und mit ausgestrecktem Arm auf mich wies. Als die Kleine vor mir stand, erkannte ich sie sofort. Es war das Mädchen aus Algier. Sie war adrett angezogen, trug ein makellos weißes Rüschenkleid. Dicke Tränen liefen über ihre Wangen, aber ihre Augen leuchteten. Sie lächelte verschämt und legte wortlos den Maria-Theresien-Taler auf die Bar. Dann ergriff sie meine Hand, küsste sie und stürmte wieder aus dem Hotel. Ich sah sie nie mehr wieder.«
    Finch steckte die Münze ein. »Seitdem begleitet mich der Taler als Talisman.«
    »Wie viele solcher Geschichten haben Sie erlebt?«, wollte Fiona wissen.
    »Wie viele Jahre haben Sie Zeit zuzuhören?«, gab er zurück. »Wir waren ein kleiner, aber eingeschworener Haufen von Abenteurern. Da gab es Flieger und Archäologen, Glücksritter und Lebenskünstler, gescheiterte Existenzen und Privatiers, bei denen niemand wusste, wovon sie lebten. Keiner von uns wollte je in ein normales Leben zurückkehren. Vielleicht konnte es auch keiner. Wir waren alle vom Virus Nordafrikas gepackt, von den grenzenlosen Möglichkeiten und der Weite der Dünen. Wir liebten die Freiheit und hassten die Routine. Manche von uns blieben irgendwo in der Wüste, verschollen, andere wurden krank und brachten sich um, bevor sie jemandem zur Last fielen. Wieder andere verschwanden irgendwo zwischen Casablanca und Kapstadt oder tauchten unter, auf der Flucht vor der Gesellschaft, der Polizei, den Geheimdiensten und manchmal auch vor sich selbst. Das Leben war kurz, und wir wollten keinen Augenblick davon verpassen. So dachte niemand von uns jemals an seine Pension. Es war ja nie geplant, dass einige von uns so alt werden sollten …«
    »Against all odds« , lächelte Fiona. »Es war eher entgegen aller Wahrscheinlichkeit.«

Flughafen Franz Josef Strauß,
München/Deutschland
    Die Spurensicherung war wieder abgezogen, die Feuerwehren hatten lange schon die Schläuche eingerollt, nachdem sie noch versucht hatten, die Schäden, die beim Löschen

Weitere Kostenlose Bücher