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Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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drückte es mich sanft in eine
Richtung: Noch aber stand ich unschlüssig. Der Druck
verstärkte sich, es war eindeutig. „Nicht verärgern, gehorchen!“
Die Kavalkade setzte sich in Bewegung, auf eine der größeren
Halbkugeln zu, deren Luke weit offen stand. Dorthin wurde ich
bugsiert, stets mit leichtem Druck im Rücken. Und dann bekam
ich so etwas wie einen sanften Stoß, und ich befand mich im
Inneren des Fahrzeugs, in das nur durch die offene Luke Licht
fiel.
Mir folgte rasch auf die gleiche freundliche Weise der Gefährte,
der wie ich überlebt hatte. Noch bevor wir uns beide besannen
oder den Raum in Augenschein nehmen konnten, schloss sich
die Klappe, und dunkelste Nacht umfing uns.
„Kamerad, Kamerad…“ Es war mehr ein weinerliches Stöhnen,
das ich aus der Richtung vernahm, in der ich zuletzt den
Gefährten gesehen hatte, vielleicht anderthalb Meter von mir
entfernt.
„Ja, Kumpel, fehlt dir was, bist du verletzt?“, fragte ich beherzt,
obwohl ich mich unter diesen Umständen alles andere als wohl
fühlte. „Ich heiße Igor“, fügte ich hinzu.
Ich vernahm ein schabendes Geräusch, und plötzlich fühlte
ich den anderen dicht an meiner Seite, ja, dann war es beinahe,
als wollte jener in mich hineinkriechen. Und ich spürte, wie der
Mensch an meiner Seite am ganzen Körper bebte. „Beruhige
dich, Freund“, sagte ich, legte dem anderen den Arm um die
Schulter, rückte aber gleichzeitig ein wenig von ihm ab. „Wie
heißt du?“
„Alex, Alex Weber“, bekam ich zur Antwort in einem
eigenartig gefärbten Tonfall. Und aus den Worten hörte ich
heraus, dass Alex weinte.
„Beruhige dich“, wiederholte ich. Und als der andere
aufschluchzte, setzte ich barsch fort, den eigenen Kloß im Hals
beseitigend: „Das Jammern hilft nämlich nicht, Alex. Und noch
hast du keinen Grund dazu, noch leben wir!“
„Sie bringen uns um, sie bringen uns um“, rief Alex.
„Das ist sehr wahrscheinlich“, bestätigte ich, scheinbar
unberührt. „Aber erst wollen sie etwas von uns. Und solange sie
das wollen, leben wir. Und solange wir leben, hoffen wir. Und
solange der Mensch hofft, ist er nicht verloren, verdammt noch
mal. Und das sind keine Sprüche! Also höre auf zu flennen, das
ändert nichts, und bereite dich vor, innerlich, verstehst du, dass
wir jederzeit, wenn überhaupt noch etwas zu machen ist,
handlungsfähig sind, dass wir die Nerven behalten,
Menschenskind!“ Innerlich war mir, als müsse ich die Worte zu
allererst an mich richten.
Alex zog die Luft stoßweise ein, so wie ich es von mir als
Kind kannte, wenn ich längere Zeit geheult hatte. „Da ist keine
Chance“, sagte er, aber es klang gefasster.
„Das wird sich herausstellen“, brummte ich. „Wo kommst
du her? Was bist du von Beruf, hm? Hast du eine Freundin?
Erzähle!“ Nur jetzt den Faden nicht abreißen nicht Zeit zum
Nachdenken, Grübeln lassen! Das galt auch für mich. Her mit
seinen Gedanken im Finstern allein gelassen, einen
verzweifelten Kameraden neben der eigenen Verzweiflung, das
konnte nicht gut gehen.
Es roch leicht nach Urin. Hatte Alex in der Angst unter sich
gemacht?
„Na, erzähle schon!“, forderte ich erneut, und ich räusperte
mich, um das Würgen im Hals loszuwerden.
„Aus Prag komme ich“, begann Alex stockend, „bin aber dort
nicht geboren. Ich stamme aus Leipzig.“
„Aha“, dachte ich. Drum diese merkwürdige Weichheit in der
Sprache.
„Ich bin Automatenbauer. Aber meine Eltern sind in der
Handelsvertretung in Prag.“
„O, große Tiere!“, spottete ich gutmütig.
Alex hatte in diesen Minuten weiß Gott keinen Sinn für Humor.
„Nein“, antwortete er, „Vater ist Hausmeister, und
Mutter
schreibt.“
Die ganze Zeit über, die wir im Stockfinstern verbrachten,
wirkten leichte Fliehkräfte auf uns ein, aber bewusst wurde mir
dies erst in diesem Augenblick. „Wir sind unterwegs, spürst du?“
Und ich hätte nicht zu sagen vermocht, warum ich mich erregt
fühlte. Ich begann zu zittern. Aber das konnte ebenso an der
Temperatur liegen. Auf meiner Haut standen noch
Wasserperlen, und wir waren beide nackt. Vielleicht auch waren
diese Halbkugeln von Haus aus kühl.
Was würden die nächsten Minuten, Stunden bringen? Ich kam
ins Grübeln, und augenblicklich überfiel mich, was ich kurz
vorher noch vermeiden wollte, Angst.
Zum Glück währte das alles nicht lange. Deutlich vermeinte
man zu spüren, wie sich die Fahrt verlangsamte, wie sie zum
Stillstand kam.
Plötzlich klappte die Luke

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