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Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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zu Ende denken. Die allerletzte
Faser meines Körpers krampfte im plötzlichen Schreck. Ein
Schatten war mir ins Blickfeld gekommen, ein metallischer
Reflex, und dann hatte etwas hart, erbarmungslos zugepackt,
eine Klammer, eine Schelle, presste sich mir um den Leib wie
ein Greifer. Ein brennender Schmerz durchlief mich. Beim
Schließen hatte das Ding Haut erwischt und diese mit
maschineller Gleichgültigkeit eingequetscht.
Ich wurde aus dem Wasser gerissen, meinte, meine Wirbelsäule
müsste bersten durch den plötzlichen Ruck.
Da stieg ein grässlicher Schrei auf. In einer heftigen
Drehbewegung gewahrte ich neben mir eine einer Giraffe nicht
unähnliche Maschine. Sie wirbelte den Gefährten, der neben mir
im Fluss gelegen hatte, empor. Aber vielleicht hatte dieser das
Unheil im letzten Augenblick herannahen sehen, vielleicht eine
unbewusste Bewegung ausgeführt. Jedenfalls griffen ihn die
Backen der Zange mitten in den Leib. Seine Eigenmasse zog die
Wunde beim Hochhieven auseinander. Blut quoll daraus hervor.
Im weiteren Schwenk sah ich, dass sich zwei, drei der
Kameraden, die offenbar nicht überrascht werden konnten, mit
gewaltigen Sprüngen ins tiefe Wasser zu retten versuchten.
Ihnen zischten blaue Blitze hinterher, und sie versanken im
Fluss.
Ich versuchte nicht erst, Widerstand zu leisten, denn das war
sinnlos. Die Klammer ließ keinen Zweifel. Sie saß auf Passung,
als wäre sie für mich gefertigt, hatte eine Breite von nahezu
dreißig Zentimetern, und ich hatte zu tun, so gegenzuhalten, dass
ich die Druckschmerzen ertrug.
Dennoch sah ich mich um, klammerte mich mit verkrampften
Fingern an den Hals des Greifers, konnte so das Gewicht
verlagern und meine Lage erträglicher gestalten.
Vier der Roboter mit vier Menschen im Griff strebten einem
gemeinsamen Ziel zu, nicht eben schnell, mit stoischem
Gleichmaß aber und sicher.
Auf die Beute übertrug sich jede Bodenunebenheit. Die
Ausleger, an denen die Menschen hingen, gaben die Fliehkräfte
an die gequälten Leiber weiter. Der eine Kamerad hing leblos
im Fang. Es war jener, dem die Zange den Rumpf zerquetscht
hatte.
Ich gewahrte noch einige der Roboter, die uns folgten, deren
Ausleger nichts trugen, die offenbar leer ausgegangen waren, und
dann sah ich zwischen den Beinen der Fänger unscheinbare
kleine Kuppeln schweben wie unziselierte Panzer von
Riesenschildkröten. Dort heraus mochten wohl die Blitze auf die
Flüchtenden abgeschossen worden sein, und drinnen saßen sie
wahrscheinlich, die kleinen, freundlichen Engel.
Ich fühlte eine ohnmächtige Wut in mir hochsteigen.
Hätte ich gekonnt, ich wäre in diesem Augenblick mit bloßen
Händen auf die Angreifer losgegangen. Meine nackte
Hilflosigkeit trieb mir Tränen in die Augen.
Doch dann, wie bei einem totalen Filmschnitt, kam mir ein
anderer Gedanke: „Ade, Dagmar, leb wohl, liebe…“ Es stieg mir
heiß die Kehle hoch. „So sah es also aus, das Ende. Und wir
haben doch noch gar nicht gelebt.“
Später wusste ich nicht, ob ich dies in jenem Augenblick nur
gedacht oder laut geschrien hatte.
„Was werden die Eltern… Sie hätten es lieber gesehen, wenn
sich der Sohn, der einzige, rechtzeitig entschieden hätte, sich als
Gemeinderat für die örtliche Versorgung zu qualifizieren. So
hätte er die gesellschaftliche Arbeit vier Wochen im Jahr am
Ort, in ihrer Nähe, absolviert. Wie froh sie zunächst waren,
dass ich überhaupt im Dorf blieb. Agronom, das ist etwas. Wie
viele aber von den Klassenkameraden hatten der engeren
Heimat gleich nach dem Abitur Valet gesagt, ihre Besuche, von
prahlerischen Erzählungen strotzend, wurden seltener und
seltener. Und es gab Mascha, die Tochter vom übernächsten
Nachbarn. Nun ja, übel ist sie nicht, ein bisschen dünn
vielleicht. Hätte ich mich für den Gemeinderat entschieden,
wäre mir das Korps erspart geblieben…
Ob sie zu Hause wissen, wo wir eingesetzt sind? Und wenn,
werden sie hoffen, dass der Sohn nicht dabei ist;
denn
schließlich können ja wirklich nicht alle Korpsangehörigen an
dieser mistigen Front sein.
Ich hätte ihnen öfter schreiben müssen.“
In diesem Augenblick fiel mir ein, dass ich noch keine einzige
Nachricht nach Hause gesandt hatte, seit ich gegen diese Teufel
eingesetzt war. „Wie lange war es her? Ein Jahr? Eine Woche?
In der Tat – etwas weniger als zehn Tage! Und mehr werden es
ja wohl nun kaum werden.“
Je länger dieser strapaziöse Marsch der Roboter dauerte, desto
mehr griff Angst nach mir,

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