Falsche Nähe
wir gesagt. Weißt du noch, wie wir nach der Schlüsselübergabe abgetanzt haben, bevor die Möbel kamen? Und jetzt soll dieser Sessel dahin.«
Audrey zieht die Stirn kraus, offenbar auch nicht wirklich zufrieden mit der Lösung. »Willst du ihn lieber in dein Zimmer stellen?«
»Ganz sicher nicht.«
Noa verbringt den Rest des Nachmittags am Schreibtisch, wo sie Computer spielt, sich via Facebook bei ihren Freunden ausheult und sogar freiwillig den Stoff für die kommende Schulwoche vorbereitet – und das an einem Samstag.
Als sie irgendwann auf die Toilette muss, entdeckt sie auf der Ablage über dem Waschbecken einen Herrenduft, einen dritten Zahnputzbecher nebst Bürste sowie einen Elektrorasierer, der gerade geladen wird. Noa zieht den Stecker aus der Steckdose, sieht ihre boshafte Miene im Spiegel – nicht wirklich anziehend –, steckt ihn wieder rein.
Am Haken in der Tür hängt ein Bademantel, dunkelgrau wie Schneematsch. Dieser Anblick ist es, der sie schließlich zum Heulen bringt. Die Tristesse in weichgespültem Frottee. Ein schlaffer Verbündeter seines Eigentümers, unauffällig in Stellung gebracht, um ihr künftig beim Pinkeln zuzusehen. Da spielt es auch schon keine Rolle mehr, dass Audreys leberfarbener Mantel an der Garderobe unter Arnes Barbourjacke kaum noch zu sehen ist oder dass die lange Seitenwand im Wohnzimmer jetzt ein anderes Gemälde ziert. Vor Arnes Anwesenheit gibt es kein Entrinnen.
Sonntag, direkt nach dem Frühstück, platzt Moritz herein. Er hat sein Skateboard und einen großen Seesack dabei, Krempel aus seinem Zimmer in Eppendorf, wie Noa vermutet. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, gesellt er sich zu ihnen an den Essplatz, beschmiert das halbe Brötchen, das Noa übrig gelassen hat, mit Butter und Erdbeermarmelade und vertilgt es mit wenigen Bissen. Anscheinend macht es ihm nichts aus, das benutzte Geschirr seines Vaters zu verwenden, er trinkt auch den restlichen, lauwarmen Kaffee aus dessen Becher, jeder Handgriff völlig selbstverständlich, als ginge er hier seit Monaten ein und aus. Noa bewundert seine Unbefangenheit. Dagegen fühlt sie sich seit gestern eher wie ein Gast in ihrem eigenen Zuhause.
»Und du willst mir also dein Arbeitszimmer zur Verfügung stellen?«, fragt er Audrey.
»Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Nein, im Ernst, das geht schon klar. Fühl dich wie zu Hause.«
»Nett von dir. Darf ich es sehen?«
»Noa kann ja eine Rundum-Führung machen«, schlägt Arne vor und fügt, als sie nicht reagiert, mit nachsichtigem Nicken hinzu: »Wenn sie will.«
»Meinetwegen.« Ihr Tonfall gerät so unfreundlich, dass Moritz es leicht falsch verstehen könnte. Nichts gegen ihn. Es nervt sie bloß, wie viel Wert Arne und Audrey darauf legen, sie miteinander vertraut zu machen.
Die Wohnung hinterlässt mächtig Eindruck bei Moritz, daraus macht er keinen Hehl. Insbesondere die Dachterrasse und der Wintergarten haben es ihm angetan. Es ist einer dieser Tage, an denen Reflexionen des Hafenwassers an der Wand tanzen. Noa weiß nicht, wie das Licht einfallen muss, woran sich brechen, damit es passiert. Ein Phänomen, Wunder der Physik, und sie liebt es. Moritz lächelt, als er es bemerkt.
Die Besichtigung – er hat den Seesack geschultert und anders als sein Vater schwitzt er beim Schleppen nicht wie ein Bauarbeiter in der Sonne – gerät vor der Tür zu ihrem Zimmer ins Stocken. Noa findet, er hat da drinnen nichts zu suchen. Fürs Erste. Ihre Privatsphäre ist so schon strapaziert genug. Außerdem ist es viel zu unaufgeräumt, ihre schmutzige Wäsche von gestern über den Boden verstreut wie nach einer Liebesnacht, dabei war sie beim Zubettgehen nur faul und deprimiert und hat alles fallen und liegen lassen, wo sie gerade stand. Konsequent lässt sie auch Audreys Schlafzimmer, Audreys und Arnes Schlafzimmer, außen vor. Falls Moritz sich darüber ärgert, kann er es gut verbergen.
Im Arbeitszimmer angekommen, macht Noa eine ausladende Handbewegung, obwohl es der kleinste Raum von allen ist. »Das wäre dann also dein Reich. Natürlich nur zu einem kleinen Teil.«
»Gekauft.«
»Da soll noch eine Schlafcouch hin.« Sie deutet auf die frei gewordene Fläche.
»Ich weiß.« Er verfrachtet sein Gepäck in eine Ecke.
»Willst du nicht auspacken?«
»Und dann? Wohin mit dem Zeug? Ein Schlafsofa mit Bettkästen wäre praktisch. Aber ich habe da keine großen Ansprüche. Bis dahin tut es auch der Seesack. – Du, sag mal, dir passt so gar nicht in den
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