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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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zu zögern, stöbert Noa in seinen Papieren. Führerschein, Ausweis, massenweise Bargeld. Mindestens fünfhundert Euro, soweit sie das so schnell überblicken kann.
    »Und wieso fährst du Audreys Wagen? Kannst du mir das bitte mal erklären?«, fragt sie weiter.
    »Kann ich.« Moritz holt tief Luft. »Moment.«
    Gerade kommt Bewegung in die Autoschlange und Moritz startet den Motor. Noa beobachtet ihn von der Seite. Zum Fahren hat er die Locken zusammengebunden, was ihm steht. Er trägt die Sachen aus seinem Seesack: schwarzer Hoody, schwarze Jeans. Sein Anblick lindert ihre Seelenqualen. Konzentriert steuert er Audreys Luxuskarosse dorthin, wo der Einweiser ihn haben will.
    »Tolles Statussymbol«, sagt er, nachdem sie geparkt und ihre Tickets vorgezeigt haben.
    Normalerweise verleiht Audrey den BMW nur ungern. Noa glaubt dennoch nicht, dass Moritz ihn sich ohne Zustimmung angeeignet hat, bloß weil er scharf auf eine Spritztour war. Zumal er dann wohl kaum hier wäre, sondern auf irgendeiner Autobahn ohne Tempolimit.
    »Hat Audrey dich geschickt?«
    »So ist es. Sie fühlt sich wohler, wenn jemand auf dich aufpasst.«
    Noa schweigt. Ringsum füllen sich die Reihen mit Fahrzeugen. Die Insassen steigen aus, Kinder hopsen umher, spielen kreischend Fangen, solange ihre Eltern und die Leute von der Reederei es dulden. Noa und Moritz bleiben sitzen.
    »Als ich gestern Abend meinen Vater besuchen wollte, war bei denen dicke Luft, weil du dich aus dem Staub gemacht hattest. Ich geb’s zu, ich war neugierig, also habe ich dort gepennt, um zu sehen, wie die Sache weitergeht. Heute früh: Riesenaufregung. Du wolltest nach Sande, Audrey am liebsten sofort hinterher, was mein Vater für eine ganz schlechte Idee hielt. Und, was soll ich sagen, da habe ich mich geopfert.«
    »Geopfert – inwiefern?«
    »Na ja, um für dich den Bodyguard zu spielen. Und Chauffeur und was immer uns noch so einfällt.«
    » Wieso glauben die, dass ich einen Bodyguard brauche? «
    »Das haben sie mir nicht erzählt. Es muss wohl mit dem Grund deiner Reise zusammenhängen. Damit, was du auf dieser Insel zu finden hoffst.«
    Noa schnaubt. »Sie haben dir nichts erzählt? Ach komm, sei ehrlich.«
    »Nur dass es mit eurer Vergangenheit zu tun hat. Dass ihr beide von dort stammt, du und Audrey.«
    »Bis gestern wusste ich nicht mal das. Stell dir das mal vor.«
    »Echt nicht? Krass.« Moritz kaut auf der Unterlippe, als suche er nach aufmunternden Worten. »Okay«, sagt er schließlich. »Lass uns anschauen, wie wir auslaufen. Übrigens: Deine Schwester hat mir den da für dich mitgegeben.« Er deutet mit dem Daumen auf den Rücksitz. Noa dreht sich um: Ihr heller Daunenmantel. Mütze und Schal, farblich auf den Kunstpelzkragen abgestimmt. Es zerreißt ihr das Herz. Trotzig behält sie die Canvas-Jacke an, was Moritz mit einem Kopfschütteln zur Kenntnis nimmt.
    Auf dem Oberdeck sammeln sich die Hartgesottenen. Es gibt Bänke, aber die meisten bleiben stehen. Noa berührt die nebelfeuchte Reling, worauf ihr Gedächtnis vertraute Bilder abspult: Fahrten auf der Hafenfähre elbabwärts. In strahlendem Sonnenschein. Bei dreißig Grad. In klirrender Kälte. Im Regen. Das schwarze Dock von Blohm und Voss. Sie und ihre Freunde sind oft auf den Schiffen der HADAG unterwegs, um in Neumühlen an den Strand zu gehen. Meistens landen sie in der Strandperle. Dort hat sie Jannis zum ersten Mal geküsst. Mit einem Seufzen wischt Noa den Gedanken beiseite. Ein Jammer, dass ihre Assoziationen nicht weiter in die Vergangenheit reichen. Denn auch auf diesem Schiff, der Frisia II, muss sie als kleines Mädchen mehrmals Passagier gewesen sein.
    Als sie ablegen, tönt völlig überraschend Musik aus den Lautsprechern, Akkordeonkitsch wie auf dem Traumschiff. Sie schauen sich an und lachen. Der Kapitän wartet das Lied ab und macht danach eine launige Durchsage über den zu erwartenden Seegang und die Sicherheitsbestimmungen. Am Kai und auf der Außenmole stehen Leute und winken. Noa und Moritz winken zurück.
    Auf See. Die Nebelbank öffnet ihren Schlund und verschluckt die Frisia in einem einzigen Bissen, lutscht die Farben aus den Kleidern und Gesichtern der Passagiere. Nur Moritz’ Haar schimmert röter denn je. Von ferne der Bass eines Nebelhorns. Moritz findet es irre.
    Noa hofft auf ein Aha-Erlebnis, das sie in die Kindheit zurückkatapultiert, doch nichts passiert. Nicht als das Schiff zu schaukeln beginnt. Nicht als sie in der Cafeteria Kakao trinken, obgleich

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