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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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gewisser Weise würde auch sie am liebsten stumpfsinnig vor sich hinkichern. Während ein Teil von ihr bereits um ihr Leben fürchtet, stellt der andere die Realität in Frage, will einfach nicht wahrhaben, dass das, was sie durchmacht, nicht ihrer Phantasie entspringt, sondern wirklich passiert – ihr passiert. Es kostet sie viel zu viel Überwindung, ihre Gegenwehr zu intensivieren. Übergroß ihr Ekel, den Unbekannten zu berühren.
    Doch selbst als sie beginnt, das Phantom mit aller Kraft zu attackieren, erreicht Noa nur wenig. Der Gegner ist zu stark, da hilft kein Umsichschlagen, Treten oder Kratzen. Sogar ihr Versuch, die Maske herunterzureißen, scheitert kläglich. Mühelos hält der Fremde sie sich vom Hals.
    »Was willst du von mir?«, schreit sie ihn an.
    Keine Antwort. Er presst ihr die Hand auf den Mund, durch den Stoff des Handschuhs hindurch riecht Noa den Schweißgeruch seiner Haut.
    Erschreckend schnell wird die Musik hinter ihnen leiser, bis schließlich nur noch das ferne Wummern der Bässe zu hören ist. Das Phantom scheint sich auszukennen, lässt die belebten, hellen Wege rund um das Kurhaus hinter sich und manövriert sie geschickt in abgeschiedene Gefilde, ein Radweg, vom Licht der Straßen laternen nur spärlich beleuchtet. Links und rechts Büsche , Küstenrosen. Es ist verrückt: Obwohl sie jegliche Hemmungen verloren hat und alles tut, was sie kann, um sich zu befreien, hat Noa ein schlechtes Gewissen, als wäre sie selbst schuld. Ihre körperliche Unterlegenheit ist eine Sache, aber wie konnte sie überhaupt so blindäugig in diese Lage geraten? Hat sie die falschen Signale ausgesendet? Den Mann provoziert? Wenn er wenigstens mit ihr reden würde. Einmal nur hat er mit ihr gesprochen, mit verstellter Stimme auf der Tanzfläche. Wie hat er da geklungen? Kennt sie ihn womöglich? Wenn Noa versucht ihren Entführer anzusehen, blickt sie in ihre eigenen angstgeweiteten Augen.
    Schließlich zerrt der Unbekannte Noa in einen Busch, seine Hände wie Schraubstöcke um ihre Handgelenke. Er will mich vergewaltigen, denkt Noa, jetzt gleich werde ich vergewaltigt. Es läuft genauso ab wie in den Warnungen ihrer Lehrer, die sie immer albern gefunden hat.
    Doch anstatt sich an ihrer Kleidung zu schaffen zu machen, beginnt das Phantom, Noa zu würgen. Erinnerungen an einen Selbstverteidigungskurs, den sie in der Schule absolvieren mussten, flackern auf. Ein Angriff auf die Augen ist wegen des Spiegels unmöglich, und damit, dass sie ihm in die Eier tritt, dürfte er rechnen. Wie durch ein Wunder gelingt es ihr trotzdem.
    Noa rennt und rennt, das Phantom hat sich aufgerappelt und die Verfolgung aufgenommen. Noch ist der Abstand groß genug, um sich halbwegs sicher zu fühlen, aber sie spürt, wie er kleiner wird. Er ist ein Mann, Männer laufen schneller, vermutlich auch mit angeschwollenen Hoden.
    Nicht umdrehen, denkt sie. Und: Ich. Darf. Nicht. Fallen. Jeder Schritt ein Schwur. Ich. Schaffe. Es.
    Noa findet ihren Takt, kommt immer schneller voran, die Füße in der Fetzenstrumpfhose eiskalt, während sie Scherben ausweichen und durch Pfützen platschen. Nur beim ersten Stein, der sich in ihre Fersen bohrt, strauchelt Noa, glaubt, sie sei außerstande, dem Schmerz die Stirn zu bieten, danach gewöhnt sie sich nicht nur daran, es treibt sie an. Sie weiß, dass sie sich die Füße blutig rennt – das darf nicht umsonst sein.
    Die größten Probleme bereitet ihr die Orientierung. Sie will zurück zur Party-Location oder wenigstens in den Ort, doch irgendwie wird es um sie herum immer einsamer. Das Brausen des Meeres nimmt zu.
    Schließlich sieht sie die Nordsee. Sie ist bei der Strandpromenade angelangt, allerdings ganz am Ende, wo längst keine Restaurants und auch keine Ferienhäuser mehr stehen. Unten am Strand flackert ein Lagerfeuer. Musik und lautes Gelächter dringen zu ihr hinauf. Jugendliche, die eine eigene Halloween-Party veranstalten. Noa hat keine Wahl: Sie braucht Hilfe. Diesmal müssen die Leute einfach eingreifen. Wenn nicht, ist sie geliefert. Keuchend schlägt sie den Weg zum Strand ein. Schon von Weitem brüllt sie den Feiernden am Lagerfeuer ihre Verzweiflung entgegen und kann ihr Glück kaum fassen, als sie damit Erfolg hat. Zwei Gestalten lösen sich aus der Gruppe und kommen ihr entgegen. Zwei Typen. Unverkleidet.
    »Bitte … Ich werde verfolgt.« Noa fällt hin, spürt Sand zwischen den Zähnen, auf ihren Lippen. Sand wie auf Mallorca. Samum, denkt sie. Du kriegst mich

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