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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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anderen Fledermäusen, sie tanzt mit einem Skelett und dem Sensenmann, bis ihre Füße in den hochhackigen Schuhen zu kochen beginnen – dann wieder mit Moritz.
    Als er sie heftig küsst, werden sie angerempelt, worauf ihre Schneidezähne heftig gegeneinanderschlagen. Sie taumelt zurück und beißt sich auf die Lippe.
    »Pass doch auf, Mann.«
    »Sorry.«
    Noa schmeckt Blut. »Ganz toll, echt.«
    Als Moritz sie erneut an sich ziehen will, hebt sie abwehrend die Hände: »Lass erst mal. Besorg mir lieber noch einen Drink.«
    Noch immer funktioniert die Verständigung nur mit maximaler Stimmbandauslastung. Noa tut bereits der Hals weh.
    »Bist du sicher?«, fragt Moritz.
    »Sehe ich so aus, als ob ich Witze reiße?«
    »Du siehst aus, als ob du genug Bowle intus hättest.«
    »Du nervst.«
    Moritz stutzt, in seiner Miene macht sich Unwillen breit, aber er trollt sich Richtung Bar. Na bitte, geht doch.
    Die Fragilität ihres Geisteszustands genießend, lässt Noa sich von jeder x-beliebigen Horrorgestalt zum Mittanzen animieren, während sie auf Moritz’ Rückkehr beziehungsweise ihren Nachschub an Bowle wartet. Diesmal ist es ihr gleichgültig, ob sie ihn dabei aus den Augen verliert, sie hofft allerdings, dass er sie beobachtet, als müsste sie ihm etwas beweisen. Was genau, ist ihr selbst nicht klar.
    Sie vergnügt sich, bis sie in Bedrängnis gerät, weil ein Phantom unaufhörlich ihre Nähe sucht und sämtliche Ausweichmanöver geflissentlich ignoriert. Schuld an ihrer Gegenwehr ist nicht nur das penetrante Verhalten des Tänzers, sondern auch sein Kostüm: einfach drei Nummern zu gruselig für Noas Geschmack. Lange schwarze Robe, schwarze Handschuhe, Gürtel, der Kopf vollständig unter einer spitzen Spiegelkapuze verborgen. Anstatt die Augen ihres Gegenübers, erblickt sie sich selbst. Moritz’ Einschätzung war goldrichtig. Sie sieht betrunken aus. Hochnotpeinlich. Kein Wunder, dass der Typ unter der Maske sie für eine leichte Beute hält.
    »Was ist das bloß für ein Scheißkostüm?«, ruft sie, um Kontrolle über die Situation zu erlangen. »Zeig dich mal.«
    Das Phantom gibt mit verstellter Stimme eine Antwort, die Noa nicht versteht. Allmählich hat sie die Faxen dicke.
    »Ach komm, verpiss dich!«
    Aber solche Typen wissen nie, wann Schluss ist. Das hätte sie sich denken können. Da Noa Moritz nicht entdecken kann, flieht sie, längst jeglicher Partystimmung beraubt, am Ende auf die Damentoilette, wo sie Wasser aus dem Hahn trinkt und ihre erhitzten Wangen kühlt. Danach ist sie zwar nicht nüchtern, aber wenigstens hat der Nebel aus Trotz und Gleichgültigkeit sich ein wenig gelichtet.
    Auf ihrem Handy blinkt eine SMS von Moritz. Er könne sie nicht finden. Von schlechtem Gewissen geplagt, tippt Noa zurück:
    Treffe dich unten vor der Tür. Muss kurz an die frische Luft.
    Doch dazu soll es nicht kommen. Kaum steht Noa im Eingang, ringsum mindestens fünfzig andere Partygäste – überwiegend Raucher und Pärchen, die rummachen –, taucht das Phantom schon wieder an ihrer Seite auf.
    »Oh nee, jetzt reicht’s aber echt«, brummt sie, eher genervt als ängstlich, doch dann packt der Mann sie ohne jede Vorwarnung am Handgelenk.
    Noa kreischt auf. »Hey! Spinnst du?«
    Keine fünf Schritte entfernt, schaut ein junges Mädchen über die Schulter ihres Freundes hinweg in Noas Richtung.
    Noa stellt Blickkontakt her. »Hallo du da, der Typ hier belästigt mich.«
    Das Mädchen guckt weg. Alle anderen ebenso. Niemand macht auch nur einen Versuch einzuschreiten. Nicht als der Unbekannte anfängt, sie mit sich zu zerren wie ein ungezogenes Kind. Nicht als Noa erst laut nach Moritz, dann immer panischer um Hilfe ruft und beim Versuch, sich zu wehren, einen Schuh verliert. Den anderen streift sie ab, um nicht zu stürzen, worauf ein paar Leute in grölendes Gelächter ausbrechen, als hätte sie den Witz des Jahres gerissen. Offenbar halten sie das Ganze wirklich für einen Scherz oder einen Sketch, vielleicht Teil des auf dem Flyer angekündigten Gruselprogramms. Noch wahrscheinlicher: Es ist ihnen gleichgültig, was genau vor sich geht, Hauptsache, es gibt etwas zu glotzen.
    »Ey, Mädchen, deine Schuhe«, ruft jemand.
    »Ruf die Polizei.«
    Noch mehr Gelächter. Sind denn alle hier völlig zugedröhnt? Noa erkennt zu spät, wie naiv es war, auf die Hilfe anderer zu setzen. Der Grund liegt auf der Hand: Noch immer tut sie sich schwer damit, die Notlage, in der sie sich befindet, als solche anzuerkennen. In

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