Falsche Opfer: Kriminalroman
Kindergarten abliefert. Darin würden die Leute sich wiedererkennen. Aber natürlich wäre er noch besser eine Frau.
Nein, beschloss Arto Söderstedt. Dies war kein Krimi. Dies war Wirklichkeit.
Er wanderte die Bondegata hinunter. Die Sonne unternahm nur zaghafte Versuche, zwischen den übermächtigen Wolkenmassen hindurchzulugen. Die Straße war seltsam bunt; ein andauernder Kampf zwischen Sonne und Schatten. Er traf dem Steuerkratzer gegenüber auf die Götgata; der leuchtete im selben eigentümlichen, bunten, ständig wechselnden Schein. Dort drinnen saß Anja und prüfte Steuererklärungen. Beim Frühstück lieferte sie täglich Berichte über die erstaunlichsten Versuche von Steuerhinterziehung. Er brauchte deshalb kein allzu schlechtes Gewissen zu haben, dass die Kinder den Sommer in Tagesstätten, Freizeitheimen und Jugendlagern verbringen mussten. Die Eheleute teilten sich die Last der Schuld brüderlich – oder war es schwesterlich?
Unten in der Götgata wartete der frisch ausgehändigte Dienstaudi. Ohne Knöllchen. Er fing an, die komplizierten Parkbestimmungen zu lernen. Das Gaspedal war gut geölt, die Kupplung straff. Eine Weile saß er da und spielte Rallyefahrer. Er hoffte nur, dass ihn niemand sah, als er als der überlegene Sieger durchs Ziel der Safari-Rallye ging.
Dann startete er und fuhr nach Kungsholmen. Er wusste, was er heute als erstes tun würde. Er sollte zwar zusammen mit Viggo die Wohnungen von Roger Sjöqvist und Dan Andersson in den südlichen Vororten durchsuchen, doch dass war nicht das erste, was er tun würde.
Als erstes würde Arto Söderstedt ein Auto kaufen. Im Internet.
Der Beschluss war gereift, zwar nicht langsam, sondern mit Nachdruck, ja, also, schnell. Ein Beschluss, der schnell gereift war. Er hatte den Beschluss mit wenig demokratischen Methoden in der Familie verankert. Anja, die seit zwei Jahren wegen eines Wagens nervte, betrachtete ihn skeptisch und versuchte, die verborgenen Motive zu ergründen. Er verriet nichts. Er saß nur da mit einem Pokergesicht und teilte altruistische Motive wie falsche Karten aus: Sie konnten in den Ferien nach Schonen fahren, sie konnten Tagesausflüge nach Kolmarden machen, sie konnten mal eine Spritztour über den Bottnischen Meerbusen nach Vasa rüber machen und nachschauen, ob es in Finnland noch Freunde gab.
Er konnte ja nicht einfach den eigentlichen Grund verraten – dass Autofahren Spaß machte.
Was die Megafamilie brauchte, war ein Familienauto. Während er in die Garageneinfahrt unter dem Polizeipräsidium einbog, dachte er über den Begriff des ›Familienautos‹ nach.
Es waren Kleinbusse, doch so konnte man sie ja nicht nennen. Das klang uncool. Gerade erst hatte eine europäische Verkehrssicherheitskommission das Resultat eines großen Sicherheitstests bei Familienautos vorgelegt. In Schweden war er besonders willkommen, weil sich im letzten Jahr ein paar
Katastrophen ereignet hatten, bei denen Familienautos nach einem Zusammenstoß in Flammen aufgegangen waren. Zum
Glück zeigte der Test, dass es auch sichere Modelle gab.
Er betrat sein Dienstzimmer, grüßte mit einem abwesenden
Nicken Viggo Norlander, der schon wieder aussah wie etwas, was die Katze hereingeschleppt hatte, heute am ehesten wie eine zerzauste und tot gespielte Kohlmeise, setzte sich an seinen Computer und rief das Internet auf.
»Wir müssen los«, sagte Norlander unwirsch. »Zuerst nach Handen, dann...«
»Nach Fußen«, sagte Arto Söderstedt und gab sein Passwort
»Schnauze«, sagte Viggo Norlander.
»Du hast heute nacht also wieder Charlotte gehabt? Ist es gutgegangen?«
»Es ist so verdammt anstrengend.«
»Fängst du an, kalte Füße zu bekommen?«
»Nein. Nein, ich liebe es. Wirklich. Aber es ist anstrengend. Dreimal pro Nacht bin ich überzeugt davon, dass sie tot ist. Plötzlicher Kindstod.«
»Und Astrid?«
»Donnerstagabend. Da trifft Astrid sich mit ihren Freundinnen.«
»Kaffeekränzchen«, sagte Arto, während er darauf wartete, dass sein Passwort angenommen wurde.
»Was?«
»Kaffeekränzchen, so hieß es früher. Heute sagt man Frauentratsch oder Frauenstammtisch. Wenn man auf der falschen Seite aus dem Bett gestiegen ist, kann man es auch Hühnerhof nennen. Aber das muss man für sich behalten. Und wie geht es ihr?«
»Tja, weißt du. Vitalität ist nur der Vorname. Astrid ist wie neugeboren. Sie hat am Ende ihr Kind bekommen. Sie sprudelt. Das kann man doch sagen: sprudelt?«
»Sagen kann man es. Wenn man es so
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