Falsche Opfer: Kriminalroman
meint.«
»Ja, das meine ich. Was machst du da, verdammt? Ich warte seit einer Viertelstunde. Wir müssen los.«
»Was meinst du mit sprudeln? Es sind erst drei Wochen vergangen seit der Geburt. Keine Nachwirkungen?«
»Sie ist ein wenig gerissen. Aber das hindert sie nicht.«
»Sexuell?«
»Das ist doch wohl unsere Privatsache.«
»Genau«, sagte Arto Söderstedt und tippte die Adresse von Gula Tidningen ein. »Privatsachen sind die, die man mit seinen Freunden teilt.«
»Schnauze«, sagte Viggo Norlander.
Söderstedt drehte sich zu ihm um. »Jetzt mach mal halblang, Viggo. Du hast dein erstes monogames Verhältnis seit
Gott weiß wie vielen Jahrzehnten, und ich will wissen, wie es ist. Das nennt man ein soziales Netzwerk. Ich bin dein soziales Netzwerk.«
Viggo Norlanders Gesichtsausdruck veränderte sich drastisch. Die mürrische schräg-nach-innen-rückwärts-Miene glättete sich in einem träumerischen Lächeln.
»Verstehe«, sagte Söderstedt und lächelte schief. »Das nenne ich fixe Arbeit. Geh schon zum Wagen, ich komme nach. Ich brauche hier nur fünf Minuten.«
Norlander verschwand.
Das ist mir eine lebenskräftige Kohlmeise, dachte Söderstedt und betrachtete die Überschriften auf dem Bildschirm.
Gula Tidningen war seit einigen Jahrzehnten Stockholms führendes Blatt für Gratisannoncen. Möglicherweise auch für die Hehlereibranche. Hier gab es alles Gebrauchte zu kaufen. No questions asked. Autos, zum Beispiel. Familienautos. Seit einiger Zeit gab es Gula Tidningen selbstverständlich auch online. Das System war vielleicht noch nicht ganz ausgereift, doch es gab auch so schon mehr als genug.
Er fand sieben interessante Objekte, vor allem Renault Espace und Toyota Picnic. Furchterregende Preise zwar, aber da hieß es einfach, zu Kreuze zu kriechen. Er schickte sieben Mails ab, in denen er sein Interesse bekundete. Das musste reichen. Dann kehrte er zur Startseite zurück.
Die wöchentliche Rubrik ›Ich liebe dich‹ erregte seine Neugier. Arto Söderstedt liebte es, Kontaktannoncen, Liebeserklärungen und persönliche Mitteilungen zu lesen. Er konnte nicht recht erklären, warum – vielleicht war es nur eine perverse Neigung, vielleicht beinhalteten diese kleinen konzentrierten Phrasen wirklich die Sehnsucht unserer Zeit. In stark gestraffter Form. Das ganze komplizierte Gefühlsleben eines Menschen sollte auf ein paar Zeilen reduziert werden, und was dabei passierte, war in der Regel höchst interessant. Er dachte einen Augenblick an Norlander, der unten im Wagen saß und kochte. Doch nur einen Augenblick. Mit dem übertriebenen Schamgefühl eines Voyeurs schaute er die Annoncen unter der Rubrik ›Ich liebe dich‹ durch. Einige waren recht phantasieanregend.
›Hengst-Harald. Ich brenne nach deiner Brunst. Stute-Edna.‹
›BK ist CF. 3 12 13 18 24 28 30. DL.‹
›Stefan. Komm zurück. Alles ist vergeben. Sogar die Kühltruhengeschichte. I.L.D. Rickard.‹
›j+3=j. Still waiting. D & die Gang.‹
›Eurydice. ›Kein Verbrechen ist schlimmer als bitterer Verrat, sagten die Schwestern Florento.‹ 82 12G 14. Orpheus.‹
›Samstag, 3. Du weißt, wo. Licking Jack.‹
›Ständer macht Spaß. Scheidensekret-Service.‹
Da reichte es, er klickte sich raus und lief zur Garage.
Viggo Norlander kochte. Er stand vor seinem rostigen alten Dienstvolvo und trat von einem Bein aufs andere. »Scheißkerl«, sagte er.
»Söderstedt«, sagte Söderstedt.
Sie fuhren die zwanzig Kilometer nach Handen südlich von Stockholm. Norlander fuhr wie eine zerzauste und totspielende Kohlmeise, die von der Katze reingeschleppt worden ist. Im Zentrum von Handen lag Dan Anderssons Einzimmerwohnung, die überrascht zu sein schien, dass sie geputzt worden war. Präzisionsgeputzt. Vermutlich würde die Spurensicherung nicht einmal einen Fingerabdruck finden. Es war das gleiche wie in Eskil Carlstedts Wohnung auf Kungsholmen. Sie gingen die wenigen Bücher und Mappen durch. Alles war in mustergültiger Ordnung. Sogar die Teppichfransen waren glattgekämmt. Ein Duft von Seife schwebte noch in der Luft unter dem eingezogenen Rauchgestank. Auf einem Regal stand ein Foto. Dan Andersson auf Mallorca, mit einem breiten Lächeln und einem riesigen Drink in der Hand. Sein Gesicht war tatsächlich leicht lila. Viel mehr gab es nicht zu sehen. Auch hier glänzten alle Formen von Rechtsextremismus mit Abwesenheit. Auch hier hatten sie eine Wohnung vor sich, die wusste, dass sie von der Polizei besucht werden
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