Falsche Opfer: Kriminalroman
ein Todesblick.«
»Und du hast nichts unternommen?«
»Ich hasse diese Welt hier. Ich verstehe noch immer nicht, wie ich hier landen konnte. Ich will nichts mit ihr zu tun haben. Wenn er selbst es vorzog, die Sache nicht zu melden, warum hätte ich es dann tun sollen?«
»Du hast dich nicht so radikal geändert, wie es den Anschein hatte«, sagte Söderstedt.
»Was ist dann deine Interpretation der Tatsache, dass der verletzte Vukotic am Tag danach in die Luft gesprengt wurde?« fragte Norlander.
»Das ist wohl ziemlich offensichtlich«, sagte Göran Andersson und strich sich über seinen schütteren Bart. »Jemand hat die Spuren des eigenen Wütens getilgt.«
Und gewütet haben musste jemand, wie sich zeigte.
Gegen halb sechs traf ein vorläufiger gemeinsamer Bericht der Kriminaltechniker und des Gerichtsmediziners ein. Ein langes, schwieriges Schreiben quoll aus dem primitiven Faxgerät in dem kleinen Vernehmungsraum der Kumlaanstalt.
Der Gerichtsmediziner Qvarfordt hatte sein Obduzentenpuzzle gelegt. Viggo Norlander konnte sich noch immer nicht ganz von dem starrenden Auge in dem Fladen frei machen, der von der Wand gekratzt worden war. Es betrachtete ihn anklagend, während er sich durch den Bericht des Gerichtsmediziners arbeitete.
»Ich weiß zwar nicht, wie sie das schaffen, aber Tatsache ist, dass sie folgendes herausgefunden haben: Lordan Vukotics Milz war gerissen, das linke Schienbein war gebrochen, und beide Arme waren ausgekugelt. In dem Zustand muss die Explosion fast wie eine Befreiung gekommen sein.«
»Er hat also kaum an einer eigenen Sprengladung unter dem Laken gebastelt«, sagte Bernt Nilsson.
»Keineswegs«, sagte Söderstedt und blickte von dem zweiten Protokoll auf, dem der Spurensicherung. »Sie haben einen mikroskopisch kleinen Zündmechanismus gefunden. Ferngesteuert. Und der Sprengstoff soll eine Art Lösung sein, nehmen sie an. Flüssig. Aber sie wissen nicht richtig, was es ist, nur dass es hyperaktiv ist.«
Vier Polizeibeamte unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Charakters verdauten gemeinsam die Information.
Der korpulente Viksjö, der augenscheinlich den am besten eingestellten Verdauungsapparat hatte, durfte zusammenfassen: »Lordan Vukotic bekommt gestern Abend eine richtig gründliche Abreibung. Er schleicht sich in seine Zelle und überspringt das Frühstück, damit es nicht herauskommt, dass er Prügel bezogen hat. Anschließend wird er mit Hilfe einer äußerst avancierten Sprenganordnung in tausend Stücke zerfetzt. Wie soll man das erklären?«
»Entweder ist es banal«, sagte Bernt Nilsson. »Ein Schurke mit guten Kenntnissen im Bauen von Sprengladungen schlägt ihn aus irgendeinem trivialen Anlass zusammen und bemäntelt sein Verbrechen mit einem anderen. Bringt das Opfer, das auch der einzige Zeuge ist, zum Schweigen.«
»Oder es ist alles andere als banal«, sagte Söderstedt. »Zwei Fragen stellen sich. Warum versucht Vukotic zu verbergen, dass er misshandelt worden ist? Warum wird er trotz seines Schweigens ermordet?«
»Er hat doch reichlich Anhang hier drinnen«, sagte Nilsson. »Er ist Rajko Nedics rechte Hand, er hat mindestens drei exjugoslawische Typen als Schutz. Warum wendet er sich nicht an die?«
»Weil sie diejenigen sind, vor denen er seine Verletzungen geheim hält«, nickte Norlander. »Und warum das?«
»Weil er gesungen hat«, nickte Söderstedt seinerseits. »Weil er gefoltert worden ist und geplaudert hat.«
»Und zwar über Nedic«, nickte Viksjö.
Am Ende schloss sich auch Bernt Nilsson an und machte das nickende Quartett komplett.
»Und das war es, was wir nicht erfahren durften. Deshalb wurde er so radikal ausgelöscht. Aber man hat die technische Kompetenz der Polizei unterschätzt.«
»Aber warum ein so avancierter und offenbar teurer Sprengstoff?« fragte Söderstedt.
»Wenn es denn wirklich so wenig ist – hochexplosive Flüssigkeit und mikroskopisch kleiner Zündmechanismus –, dann ist es wohl das einzige, was man in ein Hochsicherheitsgefängnis hineinbekommt. Noch dürfte es unmöglich sein, eine Wasserstoffbombe hinter die Mauern zu schmuggeln.«
Söderstedt seufzte und wedelte mit dem Fax. »Ich kann dennoch nicht umhin, Chefkriminaltechniker Brynolf Svenhagen zu zitieren: ›Perlen vor die Säue‹.«
8
C hefkriminaltechniker Brynolf Svenhagen hatte eine Tochter. Sie hieß Sara. Sara arbeitete in der Abteilung für Pädophilie beim Reichskriminalamt. Die Abteilung für Pädophilie beim
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