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Falsche Opfer: Kriminalroman

Falsche Opfer: Kriminalroman

Titel: Falsche Opfer: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Programmchef im Fernsehen zu werden. Der Landesdurchschnitt.
    »Hej«, sagte er und ging auf die Knie.
    Sie starrten ihn an und zogen instinktiv die Beine ein. Er schob sich zwischen Frauenschenkel und hochgerutschte Miniröcke. Die Proteste verstummten, als er ins Dunkel unter dem Tisch abtauchte; er nahm an, dass Kerstin ihren Polizeiausweis gezeigt hatte.
    Sesam, öffne dich!
    Er kroch tiefer unter den Tisch. Es wäre nicht nötig gewesen. Fast ganz außen an der Kante saß ein kleines Ding, so klein, dass er es zuerst übersehen hatte.
    Er zog es ab, kroch heraus, kam hoch, streifte sich Asche und Kautabak von den Knien und wandte sich Kerstin Holm zu.
    Dann ließ er das kleine Mikrophon vor ihren Augen tanzen.

10

    S ie liegen im Bett. Der Sonnenuntergang wird von ihren noch schweißnassen Körpern reflektiert. Es ist die Ruhe nach dem Sturm. Das Begehren ist abgeklungen. Es wird bald von neuem erwachen. Es ist nie weit entfernt. Es wird immer dasein. Nicht einmal der Tod kann sie trennen.
    Doch es ist auch die Ruhe vor dem Sturm, wie die Redewendung eigentlich lautet. Und jetzt ist der wirkliche Sturm im Anzug.
    Der Orkan.
    Diese Einsicht pflanzt sich langsam fort durch ihre Körper. Die Ruhe weicht, die immer nur zeitweilige Ruhe.
    Das Beben der Unruhe geht durch die Nacktheit.
    Er setzt sich auf die Bettkante. Er ist hell, sie ist dunkel, und sie sieht, in diesem Augenblick sieht sie, wohin seine Seele sich bewegt hat. Wieder einmal. Und sie beugt sich vor zu ihm. Die Brüste berühren weich seinen Rücken. Und langsam und vorsichtig zieht sie ihn aus dem Todesschatten. Wie er es so oft mit ihr getan hat.
    Sie weiß, dass er den Schulhof sieht. Sie weiß, dass er aus sich selbst herausgetreten ist. Sie weiß, dass er einen Jungen sieht, einen blonden Jungen, der dort auf dem öden Fußballfeld liegt. Sie weiß, dass er hört: ›Wenn du aufstehst, kriegst du Prügel.‹ Und einer nach dem anderen geht zu ihm hin. Steht da. Guckt. Und dann pissen sie auf ihn. Einer nach dem anderen. Zuerst nur die Jungen. Die Mädchen stehen im Hintergrund, kichern, schütteln sich. Die Mutigen gehen weg. Aber keine ist mutig genug zu petzen. Es wird einfach weitergehen. Und weitergehen. Aber noch kein Mädchen. Trost in der Erniedrigung. Dann bricht der letzte Damm. Ein Mädchen kommt auf ihn zu. Sie trägt einen Rock. Den Slip hat sie schon ausgezogen und hält ihn in der Hand. Sie senkt sich gemächlich über ihn. Pisst langsam auf seinen Körper. Und sie ist dunkel.
    Aber da spürt er etwas Weiches an seinem Rücken, und das holt ihn zurück. Er hebt ab, er schwebt, er fliegt. Er sitzt auf einer Bettkante und fliegt. Er streckt die Hände hinter den Nacken und erreicht sie. Lässt die Hände durch das schwarze Haar gleiten.
    Und sie kann wieder lächeln.
    »Ich war geschädigt«, sagt sie und versucht, ein Schluchzen zu unterdrücken. »Ich war tot. Du hast mich aus dem Totenreich geholt. Das weißt du.«
    Und sie sitzen da mit seltsam verschlungenen Gliedern. Sie sind eine Skulpturengruppe. Auf ewig vereint. In einer verrückten Liebe.
    »Was willst du?« fragt sie.
    Es ist ein Ritual. Keiner von beiden darf davon abweichen.
    Er lächelt und sagt: »Ich will auf einer Veranda sitzen und lesen. Es soll warm sein, aber leicht regnen. Der Regen soll gemütlich auf das Dach der Veranda tröpfeln, und wenn ich vom Buch aufblicke, soll von den fallenden Regentropfen Dampf aufsteigen.«
    Sie lächelt. Sie kennt es so gut. Sie sagt: »Weißt du, was ich will?«
    Er lacht: »Keine Ahnung.«
    »Ich will die Delphine singen hören. Ich will sehen, wie es über der hellblauen Wasseroberfläche aufschäumt. Ich will sehen, wie die Delphine in Freiheit spielen. Ich will hören, wie sie miteinander sprechen, wenn keine Menschen sie dressieren.«
    Er wendet sich um, drückt sie ein letztes Mal fest an sich, zieht sich an, steht auf und geht zu der Schultertasche auf dem Fußboden. Er starrt hinein.
    Sie steht auch auf, zieht sich langsam an, tritt zu ihm und legt den Arm um ihn. Auch sie starrt in die Tasche.
    Darin liegen zwei schwarze gestrickte Gesichtsmasken und zwei mattschwarze Pistolen.
    Er beugt sich hinunter und zieht mit einem Ruck den Reißverschluss zu.
    Dann nimmt er den Wagenschlüssel vom Schreibtisch, wirft ihn in die Luft, fängt ihn auf und sieht ihr in die Augen. »Komm, fahren wir los und erledigen es«, sagt er.

11

    D er Mann steht ganz still. Er hat mit allem gebrochen, und er steht ganz still neben seinem Wagen.

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