Falsche Opfer: Kriminalroman
Handgelenk zu einem Aktenkoffer. Der ist intakt. Explosionssicher. Der Goldgekrönte nickt dem maskierten Mann neben sich zu – dem Breitesten von allen. Der Breite holt einen Bolzenschneider hervor, beugt sich in den Wagen und knipst die Kette durch. Mit dem Aktenkoffer in der Hand zieht er sich aus dem Leichenwagen zurück.
Der Goldgekrönte nickt dem Breiten zu und fixiert die Männer, die gegen den Wagen geneigt stehen. Beide bluten aus dem Gesicht. Durch den Rauch nimmt er den Blick des Hinteren wahr. Aus dem dunklen Gesicht, wie er da an der Beifahrerseite des Mercedes steht, rinnt Blut. Ein dunkler, kalter Blick, der nicht weicht. Ein Blick, wie ihn der Goldgekrönte schon gesehen hat. Ein Blick, wie er ihn selbst haben möchte. Der Blick eines Mannes, der so viele Menschen getötet hat, dass es nichts mehr bedeutet. Der Blick eines Mannes, der weiß, dass er sterben wird, der das nicht fürchtet und der nur so viele wie möglich mit auf die andere Seite nehmen will.
Zwei Maschinenpistolen sind auf den Mann auf der Beifahrerseite des Mercedes gerichtet, zwei auf den auf der Fahrerseite. Als der Fahrer sich umdreht, sieht er genauso aus wie der Beifahrer. Ganz genauso.
Der gleiche Blick jenseits aller Hoffnung.
Der Goldgekrönte macht eine Geste mit der Maschinenpistole, und der Breite tritt ein Stück vor den Wagen, stellt sich ins Scheinwerferlicht. Er bricht das Schloss des Aktenkoffers auf und öffnet ihn. Die Maschinenpistole hängt an einem Riemen um seinen Hals.
Er schaut in die Tasche, blickt sofort wieder hoch. Enttäuschung in seinen Augen. »Was ist das, verdammt?« sagt er.
Der Goldgekrönte tritt zu ihm, der Kleinere der Maskierten folgt ihm. Drei Blicke in einen offenen Aktenkoffer.
In dem Aktenkoffer liegen ein Schlüssel und ein Funkgerät in je einer Box. Und ein Stück Papier ist dabei. Der Goldgekrönte reißt das Papier heraus.
Ein Moment der Unaufmerksamkeit.
Als er wieder aufblickt, hat der Dunkle auf der Beifahrerseite eine Pistole in der Hand. Er schießt sozusagen über die Schulter. Der Schuss trifft den Mann hinter ihm ins Gesicht, genau da, wo in der schwarzen Gesichtsmaske das weiße Loch leuchtet. Für einen Augenblick leuchtet es statt dessen rot. Dann überhaupt nicht mehr.
Es läuft ab wie in Zeitlupe. Der Mann auf der Fahrerseite zaubert ebenfalls eine Waffe hervor. Er schießt in ihre Richtung. Daneben. Maschinenpistolensalven dröhnen.
Der Breite reagiert instinktiv. Er bekommt die Maschinenpistole nicht hoch. Statt dessen läuft er. Den nächsten Schuppen im Auge. Er ist nur drei Meter entfernt. Zwei. Er spürt den Schmerz im Rücken. Ein Meter. Null. Er ist in Deckung hinter dem Schuppen. Als er fällt, ist aller Schmerz verschwunden. Er spürt nichts mehr. Als letztes sieht er den Aktenkoffer, der vor ihm auf dem Asphalt liegt. Er ist blutverschmiert.
Danach sieht er nichts mehr.
Dann zerplatzt die Sommernacht. Es ist, als explodierte sie, als würde der ganze Sommer in tausend Stücke gesprengt.
Aber es wird kein langes Feuergefecht. Vier Maschinenpistolen gegen zwei Pistolen. Der Goldgekrönte merkt, dass die Kriegsroutine doch nicht soviel bedeutet. Die beiden Männer neben dem Auto liegen bald am Boden und baden in ihrem Blut.
Ein Jammern steigt auf in die Nacht. Als er sich umblickt, liegt noch einer der Maskierten verletzt am Boden. Er reißt sich die schwarze Gesichtmaske herunter und brüllt. Sein Gesicht ist lila. Seine Kleidung färbt sich an der Schulter rot von Blut. Der Goldgekrönte beugt sich zu ihm hinunter und macht dem Kleinen ein Zeichen.
Der Kleine haut ab. Folgt dem Breiten, der weggelaufen ist. Biegt um die Ecke des Schuppens. Bleibt wie angewurzelt stehen. Sieht den Breiten ausgestreckt in seinem Blut liegen. Sieht die Blutlache vor ihm. Sieht einen rechteckigen Abdruck in der Blutlache.
Der Abdruck eines Aktenkoffers.
Und von dem Abdruck weg ein paar Blutspuren, die nach und nach verschwinden und von der Nacht verschluckt werden.
Der Kleine flucht. Er folgt den Spuren, bis sie verschwinden. Er blickt in die Nacht. Nichts, nirgendwo. Nur das helle Sommernachtsdunkel. Er stürmt mit der Maschinenpistole im Anschlag eine Weile umher. Es hilft nichts. Der Aktenkoffer ist weg.
Neben dem Wagen schreit der Verwundete. Sein Hemd ist schon ganz rot. Der Goldgekrönte sieht auf ihn nieder, schließt die Augen und drückt ihm einen breiten Streifen Klebeband über den Mund. Die Augen weiten sich heftig. Es sieht aus, als wollten sie aus
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