Falsche Opfer: Kriminalroman
Deutschen, die Schutz vor dem Regen suchten. Es war nämlich ein reichlich trister Mittsommertag in Stockholm. Der wunderbare Sommer, der praktisch den ganzen Juni über schon angehalten hatte, war anscheinend vorüber. Der Regen fegte kreuz und quer durch Gamla Stan und spülte die Deutschen aus den Gassen. Die Glück hatten, strandeten in Sundbergs Konditorei.
Er saß eingepfercht im hintersten Teil des Lokals. Von Deutschen umzingelt.
Er winkte ihr leicht zu. Normalerweise, wenn man ein Treffen mit Party-Ragge, Kommissar Ragnar Hellberg, verabredet hatte, sprang er heftig auf, breit lächelnd, wild gestikulierend und laut tönend. So war es diesmal nicht. Nur dieses zurückhaltende Winken. Er trug ein verwaschenes grünes T-Shirt, Jeans und kaputte Sandalen; so kannte sie ihn nicht. Und sein dunkles, fast halblanges Haar, das sein Gesicht mit dem schwarzen Leninbärtchen umrahmte, hatte sie noch nie so ungepflegt gesehen. Unter den Augen hingen Andeutungen von Schwärze. Womit hatte er Mittsommer verbracht? Gearbeitet? Mit ›Verwaltungskram, kann man wohl sagen‹?
Sara Svenhagen fand, dass er jünger aussah, wenn er ernst war, knapp dreißig. Mit Männern im allgemeinen war es anders. Die sahen fast immer jünger aus, wenn sie lachten. Anderseits lachten sie ja nur, so richtig, wenn sie jung waren.
Ein kleines Paradoxon im Mittsommerregen.
Er saß ganz hinten neben einer Tür, von der sich rasch herausstellte, dass es die Toilettentür war. Sie schwang ständig hin und her. Sie schüttelte sich die Nässe ab und setzte sich mit einer simplen Tasse Kaffee neben ihn. Kein Kopenhagener. Es war sozusagen nicht angebracht.
»Hej, Sara«, sagte Ragnar Hellberg. »Alles in Ordnung?«
»Doch, alles okay. Ich fühle mich immer ein bisschen durcheinander, wenn ich mit einem von ihnen gesprochen habe. Sie scheinen auf einem anderen Planeten zu leben. In einem anderen Universum.«
»Wie wirkt er denn? Wie hieß er noch? Wirsen?«
»Wireus«, sagte sie. »John Andreas Wireus. Und er wirkt, tja, weggetreten. Hier und doch nicht hier. Wie in einer parallelen Existenz. Man redet mit ihm, aber er ist gar nicht da. Nicht richtig. Er wollte mich als Therapeutin. Ziemlich kaputt, aber auch ziemlich ungefährlich. Passiver Pädophiler, sagen wir mal. Hatte einen Haufen Pornokram. Machte aber vor allem Bilder. Massenweise anscheinend harmlose Bilder von seinem Fenster im Söder-Turm aus. Kinder auf Medborgarplatsen und Umgebung. Kaum kriminell.«
»Und hast du in seinen Computer gucken können?«
»Ja. Seine Angaben können wohl stimmen. Er scheint selbst keine Adressenlisten zu haben, und ebenso wenig scheint er irgendwelche Bilder verschickt zu haben. Nur empfangen. En masse. Ich glaube, allein in seiner Mailbox waren fünfhundert Bilder. Ohne Absender, selbstverständlich, aber die sollten rauszukriegen sein. Wireus ist unverschuldet auf einer Adressenliste gelandet. Vielleicht ist es kein Netzwerk.«
»Was sollte es denn dann sein?«
»Ich weiß nicht. Ich bin eigentlich keine Computerexpertin. Wir müssen wohl abwarten, was die Spezialisten sagen.«
»Es wäre mir am liebsten, wenn der Computer nicht dort landet.«
»Aber warum nicht?«
Ragnar Hellberg beugte sich vor. Sie sah, dass er seit einigen Tagen die Zähne nicht geputzt hatte.
»Ich könnte dir ganz einfach als dein Vorgesetzter von oben herab kommen und sagen: Das ist ein Befehl, und den hast du zu befolgen, und das war‘s. Aber das möchte ich nicht. Du sollst mir vertrauen. Lass uns das hier unter vier Augen handhaben. Ohne Außenstehende.«
Sie sah ihn prüfend an. Der junge Blitzkarrierekommissar. Der Partypolizist. So gedämpft. So ernst. Sie verstand nicht.
»Okay«, sagte sie. »Ich werde nicht fragen.«
»Ich weiß, dass du enorm was draufhast in diesen EDV-Dingen, Sara. Du kannst doch allein auch eine ganze Menge rauskriegen?«
»Vermutlich«, antwortete sie aufrichtig.
»Und was? Was ist es, wenn es kein Netzwerk ist?«
»Es ist eine Adressenliste. Sie offenbarte sich auf dieser flüchtigen Homepage am Donnerstag um neunzehn Uhr sechsunddreißig null sieben, für ein paar Sekunden. Die Webadresse habe ich. Aber sie wurde inaktuell in der gleichen Sekunde, in der sie sich offenbarte. Anonyme amerikanische Gratis-Site. Da ich überzeugt bin, dass Wireus die Wahrheit sagt, glaube ich nicht, dass es ein Netzwerk ist, die Adressen kennen sich untereinander nicht, sie tauschen nicht in der sonst üblichen Weise Bilder aus. Die Liste ist eine
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