Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falsche Opfer: Kriminalroman

Falsche Opfer: Kriminalroman

Titel: Falsche Opfer: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
und Göteborg. War es trotz allem Göteborg?
    »Nichts?« fragte der Goldgekrönte.
    ›Kulan‹ schüttelte den Kopf. Huskvarna. Die letzten Hügel hinunter nach Jönköping.
    »Wir müssen bald tanken, Nicke«, sagte Rogge. »Es leuchtet schon.«
    »Ey, Kugelarsch, kannst du deinem Scheißapparat nicht irgendwie ein bisschen Dampf machen?« wimmerte Danne von hinten. »Mal irgendwie volle Pulle geben?«
    »Du hast keine verdammte Ahnung, du angeschossener Scheißhering!« schrie ›Kulan‹ zurück.
    »Schnauze«, sagte der Goldgekrönte ruhig.
    Alle hielten die Schnauze.
    Nicht Göteborg, das hatte er ausgeschlossen. Er stand zu seinen Entscheidungen. Nicht Västervik. Auch ausgeschlossen. Växjö? Da lag die ganze Latte von Karlshamn, Ronneby, Karlskrona, vielleicht Kristianstad. Aber das wäre doch wohl die E 22 gewesen? »Fahr weiter«, sagte er.
    Sie fuhren weiter auf der E 4. In Skillingaryd wurde der Benzinmangel akut. Sie hielten an einer Tankstelle. »Bleib hier stehen«, sagte er, bevor sie ins Blickfeld des Tankstellenpersonals kamen.
    »Wir müssen tanken«, sagte Rogge.
    »Wir müssen Knete haben«, sagte er, zog sich die goldgefärbte Wintermütze über, entsicherte seine Pistole und sprang aus dem Wagen.
    »Gehst du selbst?« fragte ›Kulan‹. »Ist das gut?«
    »Das ist nicht gut. Das ist am besten. Wartet hier.«
    Sie warteten. Nach fünf Minuten kam er zurück, in der Hand eine Plastiktüte. »Jetzt kannst du tanken«, sagte er und riss sich die Mütze vom Kopf. »Ich glaube nicht, dass du bezahlen musst.«
    Sie tankten. Als sie wieder auf der E 4 waren, brüllte ›Kulan‹ plötzlich auf. »Ich hab es wieder! verdammt, hier ist es. Sie müssen angehalten haben. Ich hab die Richtung. Sie fahren südwärts auf der E 4. Nicht weit vor uns.«
    »Gas?« fragte Rogge.
    »Halt dich an die Geschwindigkeitsbegrenzung«, sagte Niklas Lindberg ruhig und warf die Mütze ins Handschuhfach.
    ›Kulans‹ Gesicht zog sich zusammen, als habe er Schwefelsäure in die Fresse gekriegt. Er schrie: »Scheiße, ich hatte es!«

21

    D as trotz allem Undurchdachte ihres Handelns ging ihnen viel zu spät auf. Zwei Autos auf unterschiedlichem Kurs durch Schweden. Ein alter, klapperiger Datsun und ein blendendweißer Ford Focus des prämierten Vorjahrsmodells. Erst als sechshundert Kilometer sie trennten, ging es ihnen auf, dass Mittsommer war. Keine Bank in ganz Schweden geöffnet. Sie waren ihren jeweiligen Gespenstern ausgeliefert, mit denen sie nie wieder hatten allein sein wollen.
    Es wurde ein Mittsommerfest, das keiner von ihnen je vergessen würde. Und das keiner von ihnen je wiederholen wollte.
    Er lag in einem tristen Hotelbett kurz vor Orsa und hörte vom Ufer des Siljansees die Mittsommerfeierei herüberschallen. Seine Trommelfelle schickten die Geräusche als äußerst verzerrte elektrische Impulse an sein Gehirn weiter. Es klang schneidend und höhnisch. Ein ätzendes, scharrendes Geräusch. Die Spielleute von Orsa schlugen mit ihren Bogen gegen die straff gespannten Saiten seiner Nervenzellen. Kein gegen die Ohren gepresstes Kissen half. Die Geräusche wurden von innen heraus verzerrt, das begriff er. Es war wie das Echo von Festlichkeiten für einen Hinausgeworfenen. Und er fragte sich, wie lange der kleine Junge noch an den Baum gebunden würde stehen müssen, während unten am Ufer das Fest weiterging. Mittsommer. Er durfte dabei sein. Zum ersten Mal war er eingeladen. Er war tatsächlich eingeladen. Er zitterte vor Glück, während er durch das Waldstück bei Edsviken wanderte. Es würde der Wendepunkt werden. Er schlug den Weg an der Hütte vorbei ein. Er blieb bei dem kleinen lächerlichen Flickenteppich aus Brettern stehen, der ihn vor der Welt verborgen hatte, wenn die Welt auf ihn einstürzte. Und wann tat sie das nicht? Da hatte er gesessen und Rindenboote geschnitzt, mit einer Besessenheit, die alles andere ausschloss. Er füllte die Hütte mit immer aufwendigeren Rindenbooten, bis er selbst fast keinen Platz mehr fand. Es war wie Michel im Tischlerschuppen. Allerdings bar jeden Humors und jeder Wärme. Und jetzt war er unterwegs zum Mittsommerfest mit der Klasse. Er war eingeladen worden, war endlich, endlich, endlich akzeptiert. Er stand vor der Hütte und wusste, dass sie ihm das Leben gerettet hatte. Dann trat er näher und riss sie ein. Es bedurfte keiner großen Anstrengung. Er brach ein paar Bretter ab, und sie fiel zusammen wie ein Kartenhaus. Ein Strom von Rindenbooten rann heraus. Er

Weitere Kostenlose Bücher