Falsche Väter - Kriminalroman
deren
Scherben bereits in der Urne lagen.
* * *
Am Freitag hatte Peters bis tief in die Nacht gearbeitet, und am
Samstag saß er um kurz nach acht schon wieder in seiner Kellergruft. Er hasste
es, am Wochenende arbeiten zu müssen, aber diesmal blieb ihm keine Wahl.
Inzwischen waren eine ganze Menge weiterer Informationen gekommen, die er noch
vor der Befragung des Mädchens durcharbeiten wollte.
Als ihm Bescheid gegeben wurde, dass die Zeugin im Präsidium
eingetroffen war, war er erst bis zur Hälfte der Berichte gekommen. Er drückte
die Zigarette im Aschenbecher aus, als wolle er sie umbringen. Dann machte er
sich auf den Weg.
Noch wusste er so gut wie nichts über das Mädchen. Sie war siebzehn
Jahre alt und hieß Anna Lechtenberg. Sie hatte am Tatort zu Protokoll gegeben,
am Donnerstagnachmittag gemeinsam mit Theo Grossmann zur Hütte gefahren zu
sein. Dort habe dieser sich seltsam verhalten, habe getrunken, sich plötzlich
über sie hergemacht und sie vergewaltigt. Sie sei dann zu ihrer Oma nach
Geldern gefahren und erst am nächsten Tag zusammen mit Conrad van de Loo zur
Hütte zurückgekehrt. Dort habe van de Loo den Toten gefunden und die Polizei
benachrichtigt.
Peters ging durch den Flur und stapfte die Kellertreppe hinauf. Oben
kam er an der Galerie der Türen vorbei, die wie gewohnt sperrangelweit offen
standen, obwohl nur wenige Kollegen anwesend waren. Er hatte große Lust, eine
nach der anderen zuzuknallen, riss sich aber zusammen und ging zu der einzigen
geschlossenen Tür am Ende des Gangs.
Die Beamtin, die wie ein großes Schulmädchen neben Anna Lechtenberg
am Tisch saß, stand augenblicklich auf, als Peters eintrat. Sie nickte und
zwinkerte ihm kurz zu, wobei er nicht recht wusste, was sie damit andeuten
wollte. Dann verließ sie ohne ein Wort den Raum und schloss die Tür.
Peters fühlte sich unbehaglich, als er die Zeugin flüchtig in
Augenschein nahm. War das ein Mädchen oder bereits eine junge Frau? Er kannte
sich in der Welt der Jugendlichen nicht besonders gut aus und wusste nicht, wie
man am besten mit ihnen umging. Für ihn blieb es ein Rätsel, warum die jungen
Leute oftmals so verschlossen waren und sich seltsam verhielten. Manchmal kam
es ihm vor, als würden sie in einer eigenen Welt leben, in der eine andere
Sprache gesprochen wurde und andere Regeln galten.
»Carsten Peters«, sagte er, während er auf sie zuging. »Ich bin
Kriminalhauptkommissar, hier bei der Kripo Kleve. Ich arbeite unter anderem an
der Klärung von Mordfällen und leite den Fall Grossmann.«
Er sah Anna an und rang sich ein Lächeln ab. Es schien nicht
sonderlich überzeugend zu wirken, denn das Mädchen stand nicht auf und nahm
auch nicht die Hand an, die er ihr halbherzig entgegenstreckte.
Typisch!, schoss es Peters durch den Kopf. Keine Manieren! Er drehte
sich auf der Stelle um und nahm auf der anderen Seite des Tisches Platz.
Wie stets wollte er zunächst ein paar harmlose Fragen zur Person
stellen, um eine einigermaßen vertraute Atmosphäre zu erzeugen. Dabei gewöhnte
er sich an die Stimme der Befragten. Das war wichtig, um Nuancen zu erkennen.
Kleine Abweichungen, ein Zittern, zu lange Pausen, ein leichtes Stottern.
»Name?«, fragte er.
»Entschuldigen Sie, aber meine Personalien sind bereits aufgenommen
worden.«
»Die habe ich noch nicht genau einsehen können.«
»Sie liegen aber vor Ihnen.«
Das fängt ja gut an, dachte Peters, nahm den Bogen, den seine
Kollegin ausgefüllt hatte, und überflog die Daten.
»Du bist noch in Krefeld gemeldet«, stellte er fest, »wohnst aber
seit einigen Wochen bei deiner Oma in Geldern.«
»Ich möchte das nicht«, sagte das Mädchen.
»Was möchtest du nicht?«, fragte Peters scharf. »Das sind doch nur
Feststellungen. Das ist hier eine einfache Befragung zur Person. Etwas ganz
Normales. Nicht wie im Fernsehen! Kein Verhör oder so etwas. Du wirst hier
nicht in die Mangel genommen.«
»Ich möchte es trotzdem nicht!«
»Was meinst du damit?«
»Ich möchte nicht, dass Sie mich duzen!«
Peters sah das Mädchen verdutzt an. Also doch eine junge Frau!,
dachte er. Ihm war sofort klar, dass er einen Fehler gemacht hatte, aber zu
einer Entschuldigung konnte er sich nicht durchringen.
»Na gut. Dann noch mal von vorn, Frau Lechtenberg. Sie sind noch in
Krefeld gemeldet?«
»Ja. Da habe ich bis zum Beginn der Sommerferien gewohnt. Jetzt lebe
ich bei meiner Oma.«
»Warum?«
»Es gab Probleme zu Hause.«
»Welcher Art?«
»Darüber möchte
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