Falsche Väter - Kriminalroman
ich nicht sprechen.«
»Gut. Lassen wir das zunächst einmal auf sich beruhen. Kommen wir
zur Sache. Sie waren am Donnerstag bereits in der Hütte.«
»Ja.«
»Sie sind mit Theo Grossmann dorthin gefahren?«
»Ja.«
»Gab es unterwegs besondere Vorkommnisse? Hat Sie jemand gesehen?«
»Nein. Oder doch! Onkel Theo hat mir ein Eis spendiert. In Issum.
Der Mann von der Eisdiele müsste sich an mich erinnern.«
»Onkel Theo? Sind Sie verwandt mit dem Toten?«
»Nein. Aber ich kenne ihn schon ziemlich lange. Ich hab ihn immer so
genannt.«
»Und Onkel Theo hat das Eis bezahlt?«
»Natürlich!«
»Hat er noch mehr bezahlt?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Anna zurück.
»Hat er Sie ausgehalten? War er sehr spendabel?«
»Ich musste nie bezahlen. Aber das ist ja normal, wenn man mit einem
Erwachsenen etwas unternimmt. Ich habe ja nur wenig Geld.«
»Wie ging es weiter?«, fragte Peters. »Was ist geschehen, als Sie
mit Ihrem Onkel, also mit Theo Grossmann, in der Hütte waren?«
»Er hat getrunken. Und er war anders als sonst.«
»Wie anders?«
»Ich weiß nicht. Er war einfach komisch.«
»Und dann?«
»Dann hat er mich gezwungen, mich auszuziehen, und ist über mich
hergefallen.«
»Zum ersten Mal?«
»Hören Sie«, sagte Anna wütend. »Ich bin vergewaltigt worden!
Vorgestern! Von einem Mann, den ich seit vielen Jahren kenne, dem ich vertraut
habe und der jetzt tot ist. Ermordet! Haben Sie überhaupt kein Gespür dafür,
wie mir im Augenblick zumute ist?«
* * *
Van de Loo wartete auf dem Parkplatz des Polizeipräsidiums auf Anna.
Er schlenderte gelangweilt umher, sah sich das Gebäude und die abgestellten
Fahrzeuge an, kehrte aber nach kurzer Zeit immer wieder zu seinem Auto zurück.
Er hatte keinen Besucherparkplatz ergattert und fürchtete, der Volvo könnte
abgeschleppt werden. Er sah gerade zu den vielen Fenstern auf, als Anna das
Gebäude verließ. Im selben Augenblick tauchte Peters’ Gestalt hinter einem der
Fenster im zweiten Stock auf. Der Hauptkommissar wollte offenbar wissen, von
wem Anna abgeholt wurde. Van de Loo hob den Arm und winkte, aber Peters zeigte
keine Reaktion und verschwand sofort wieder.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte van de Loo, als Anna im Auto saß.
»Ziemlich beschissen«, sagte Anna. »Dieser Kommissar Peters konnte
mich von Anfang an nicht leiden und hatte irgendein Problem mit mir. Ich weiß
auch nicht, warum der so komisch und unfreundlich war. Ich hatte die ganze Zeit
das Gefühl, dass er mich verdächtigt; ich glaube, ich war nicht besonders
kooperativ.«
»Was hast du ihm denn erzählt?«
»Die Wahrheit, was sonst? Aber ich habe nur die Fragen beantwortet,
die er mir gestellt hat. Solche Typen kenne ich nämlich. Erst bringen sie dich
zum Quatschen, und dann drehen sie dir einen Strick aus dem, was du gesagt
hast.«
»Na ja, so schlimm kann es nicht gewesen sein«, sagte van de Loo
beschwichtigend. »Immerhin hat er dich gehen lassen, und du bist noch auf
freiem Fuß. Wenn du wirklich tatverdächtig wärst, dann wärst du nicht hier,
sondern säßest in Untersuchungshaft.«
»Im Knast?«, fragte Anna erschrocken.
»Wenn jemand einer schweren Straftat beschuldigt wird, dringender
Tatverdacht oder Fluchtgefahr besteht, wird Untersuchungshaft angeordnet. So
schreibt es das Gesetz vor.«
»Vielleicht wollte er deshalb meine Handynummer haben. Stell dir
vor. Der war so misstrauisch, dass er gleich ausprobiert hat, ob es die
richtige Nummer ist.«
»Ich kenn Peters von früher«, sagte van de Loo. »Der hat seinen
eigenen Kopf.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Anna, als van de Loo am
Ortsschild von Kleve vorbeikam.
»Was hältst du davon, wenn wir zum Schloss Moyland fahren? Da
trinken wir was, und ich zeige dir Werke von Joseph Beuys.«
»Wer ist denn das?«
»Ein Künstler, der behauptet, dass jeder Mensch ein Künstler ist.«
»Und der wohnt in einem richtigen Schloss?«
»Ach was«, sagte van de Loo lachend. »Beuys ist längst tot. Auf
Schloss Moyland wird ein Teil seiner Arbeiten ausgestellt, und es gibt ein
Archiv, in dem Dokumente zu Leben und Werk gesammelt werden. Der Niederrhein
hat ihn geprägt.«
»Das kann ja spannend werden«, sagte Anna grinsend.
»Ob du’s glaubst oder nicht. Der Mann ist wirklich spannend. Ich
habe mich mal mit ihm beschäftigt. Einer von den Brüdern van der Grinten war
nämlich mein Kunstlehrer. Die Brüder haben Beuys unterstützt und die Sammlung
aufgebaut. Als ich zum ersten Mal mit den Sachen
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