Falsche Väter - Kriminalroman
wusste nicht, was es war. Es war nur so
schrecklich anders. Danach bin ich immer gerannt, wenn ich an seinem Haus
vorbeikam. Bis heute habe ich diesem Mann seine Unverschämtheit nicht verziehen
und ein komisches Gefühl, wenn wir uns zufällig begegnen.«
»Wenn er tot wäre, wäre es anders?«
»Wahrscheinlich.«
»Ich habe das Gefühl, dass Anna diesen Grossmann nicht angezeigt
hätte, wenn er noch am Leben wäre.«
»Schon möglich«, sagte Johanna und nippte versonnen an ihrem Kaffee.
»Anna ist ein starkes Mädchen. Ich traue ihr zu, dass sie die schrecklichen
Augenblicke verdrängt hätte, um die guten Zeiten mit diesem Onkel in Erinnerung
zu behalten. Woher kannte sie ihn eigentlich?«
»Das weiß ich nicht genau. Ich nehme an, er war ein Freund ihrer
Mutter. Anna hat noch nicht viel erzählt. Aber das kann ja noch kommen. Ich
glaube übrigens, dass sie am liebsten ein paar Tage bei uns bleiben würde. Was
hältst du davon?«
»Von mir aus. Hier kann sie erst mal zu sich kommen, und für Tante
Gertrud ist es sicher ein Segen. Und wie ist es für dich?«
»Für mich?«
»Ja. Was ist mit dir?«, fragte Johanna und fuhr sich mit den
Fingerspitzen durch ihr dichtes Haar.
»Ich glaub, ich hab Feuer gefangen.«
»Für Anna?« Van de Loo sah Johanna an. Für Augenblicke glaubte er,
es wäre Eifersucht. Dann erkannte er das spöttische Lächeln, das ihre
Mundwinkel umspielte.
»Blödsinn. Für diesen Fall natürlich. Das war wirklich seltsam, als
ich den Toten in der Hütte gesehen habe. Erst war ich geschockt, und dann bin
ich total wütend geworden. Wütend auf alle Menschen und die ganze Welt. Aber
inzwischen glaube ich, dass ich wütend auf mich selbst war.«
»Warum denn das?«
»Weil ich so lange gepennt und nichts Richtiges gemacht habe. Mein
dösiges Leben geht mir allmählich auf die Nerven. Ist doch einfach Scheiße,
wenn man denkt, ein Tag sei geglückt, nur weil einem nichts passiert ist.«
Van de Loo dachte an die letzten Jahre zurück. Seitdem er mit
Johanna und Katharina auf den Hof zu Tante Gertrud gezogen war, hatte er keinen
einzigen Fall mehr bearbeitet und lebte von der Pacht, die die umliegenden
Ländereien einbrachten. Er war umgezogen und hatte gleichzeitig sein altes
Leben hinter sich gelassen. Mit der Begründung, sich um seine Tante kümmern zu
müssen, hatte er alle Anfragen zurückgewiesen, sich dem Nichtstun hingegeben
und war von Tag zu Tag fauler und träger geworden. Inzwischen hatte er sich so
weit von sich selbst entfernt, dass ihm beim Blick in den Spiegel sein eigenes
Gesicht nicht mehr gefiel. Es wurde höchste Zeit, dass er sein Leben änderte.
So konnte es nicht weitergehen, und deshalb war Anna vielleicht seine Rettung.
Sie wurde verdächtigt und zweifelte anscheinend an sich selbst.
Solange der Fall nicht geklärt und der Mörder nicht gefasst war, würde sie die
Geschehnisse in der Hütte nicht richtig verarbeiten können. Deshalb musste van
de Loo ihre Unschuld beweisen und den Tod Grossmanns aufklären. Das brachte
vielleicht neue Alpträume mit sich, aber das schien ihm hundertmal besser, als
überhaupt keine Träume mehr zu haben.
* * *
»Theo ist tot!«
Johannes Winkens erkannte die Stimme sofort. »Ich weiß«, sagte er.
»Er ist erschossen worden. In unserer Hütte.«
»Das ist mir ebenfalls bekannt. Dennoch möchte ich dich darauf
hinweisen, dass es immer noch meine Hütte ist. Ein Umstand, den ich inzwischen
allerdings zutiefst bedaure!«
»Das Kleeblatt wird zerrupft!«
»Das Kleeblatt hat uns in all den Jahren nicht besonders viel Glück
gebracht!«
»Hast du eine Ahnung, wer das getan haben könnte?«
»Wenn ich eine Ahnung hätte, würde ich sie der Polizei mitteilen«,
entgegnete Winkens genervt. »Aber ich habe keine Ahnung. Nicht die geringste!
Ich war in Wiesbaden. Und du?«
»Im Bett.«
»Mit einer deiner kleinen Reiterinnen?«
»Das geht dich nichts an. Irgendjemand hat Theo aus nächster Nähe
ins Gesicht geschossen und …«
»Verschon mich bitte mit den Einzelheiten. Schlimm genug, dass es in
der Hütte passiert ist. Die Polizei war hier. Sie will von mir eine Liste der
Leute, die regelmäßig dort waren. Ich werde auch deinen Namen nennen.«
»Natürlich. Kein Problem.«
»Mein Problem ist, dass ich es mir nicht leisten kann, in der
Öffentlichkeit irgendwie mit dieser Sauerei in Verbindung gebracht zu werden.
Ich werde die Hütte so schnell wie möglich verkaufen. Und dann ist Schluss! Ich
will mit der ganzen
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