Falsche Väter - Kriminalroman
sagte.
Dennoch war Peters nicht wirklich von ihrer Unschuld überzeugt.
Die Fingerabdrücke auf der Tatwaffe waren noch nicht alle
identifiziert worden, aber es galt als sicher, dass sowohl Grossmann als auch
das Mädchen die Waffe in der Hand gehabt hatten. Sie behauptete, die Waffen hin
und wieder gereinigt zu haben, obwohl sie seit längerer Zeit nicht mehr benutzt
worden waren. Weil auch auf den anderen Gewehren ihre Fingerabdrücke waren,
schien das eine plausible Erklärung.
Peters war sich nicht sicher, was er von dem Mädchen (der jungen
Frau, ermahnte er sich) halten sollte. Bei der Befragung hatte sie sich nicht
besonders entgegenkommend verhalten, und des Öfteren hatte Peters den Eindruck
gehabt, dass sie ihm etwas verschwieg. Es war ihm jedenfalls nicht gelungen,
sich ein schlüssiges Bild von ihr zu machen. Er traute ihr durchaus zu, im
Affekt auf einen Menschen zu schießen. Aber besaß sie auch die Kaltblütigkeit,
später an den Tatort zurückzukehren und zu morden? Außerdem gab es noch die
Verstümmelungen. Peters konnte sich einfach nicht vorstellen, dass auch die auf
das Konto der jungen Frau gingen.
Vorsichtshalber hatte er sich ihre Handynummer geben lassen. Jetzt
konnte er sie jederzeit erreichen, und die Techniker waren in der Lage, ihren
Aufenthaltsort zu ermitteln, falls es nötig sein sollte. Das war zwar in seinen
Augen alles Schnickschnack, aber manchmal konnte man damit Eindruck schinden.
Peters blätterte weiter in der Akte. Eigentümer der Hütte war ein
Mann namens Johannes Winkens. Er hatte sie von seinem Vater geerbt und vor
vielen Jahren zu einer Art Ferienhaus umbauen lassen. Trotzdem gab es dort
einen Waffenschrank. Er war gesichert gewesen; Grossmann hatte einen Schlüssel
gehabt. Allem Anschein nach alles legal. Sowohl Grossmann als auch Winkens
besaßen die Berechtigung, Waffen zu führen. Sie waren früher gemeinsam zur Jagd
gegangen.
Winkens war eine einigermaßen bekannte Figur, und es gab genügend
Informationen über ihn im Netz. Er war Betreiber einer Kiesbaggerei bei Kerken
und wohnte in Kempen, wo er kräftig in der Lokalpolitik mitmischte. Es hieß, er
könne sich sogar berechtigte Hoffnungen machen, bald ins Europaparlament
einzuziehen. Zur Tatzeit hatte er sich in Wiesbaden aufgehalten und am Abend
einen Vortrag über »Europäische Fördermittel für strukturschwache Gebiete«
gehalten. War alles überprüft worden. Außerdem gab es Presseberichte.
Peters versuchte sich noch einmal vorzustellen, was in der Hütte
vorgefallen war. Grossmann hat getrunken und sich an Anna vergangen. Dann haut
sie ab. Er muss damit rechnen, dass sie ihn anzeigt. Außerdem plagt ihn
wahrscheinlich das schlechte Gewissen. Er trinkt noch mehr. In seiner
Verzweifelung geht er zum Waffenschrank. Er öffnet ihn. Er nimmt eine Waffe in
die Hand, aber dann verlässt ihn der Mut. Stellt er die Waffe an ihren Platz
zurück? Möglich. Trinkt er weiter? Wahrscheinlich. Und dann kommt eine andere
Person ins Spiel. Der Mörder oder die Mörderin. Wer war das? Das Mädchen? Oder
jemand, der zufällig vorbeigekommen ist?
Peters schüttelte den Kopf. Er hielt nichts von Zufällen. Sie
passierten, aber das war die Ausnahme. Die Hütte lag abseits der Gehwege; es
war höchst unwahrscheinlich, dass sich jemand dorthin verirrte.
Also musste jemand vorsätzlich zur Hütte gekommen sein. Jemand, der
Grossmann und die Hütte kannte. War es vielleicht jemand, der wusste, dass
Grossmann vorhatte, mit Anna Lechtenberg dorthin zu fahren? Jemand, der wusste,
dass Grossmann sich an diesem Wochenende dorthin zurückziehen würde, um sich in
aller Ruhe zu besaufen? Hatte dieser Jemand zufällig beobachtet, wie Grossmann
sich an dem Mädchen vergriff?
Schon wieder der beschissene Zufall!, dachte Peters und schlug
wütend die Akte zu.
* * *
Anna war die Erleichterung deutlich anzumerken, als sie erfuhr, dass
sie die nächsten Tage auf dem Hof bleiben konnte. Seit dem Gespräch mit
Kommissar Peters fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut und hatte das
unheimliche Gefühl, unter Beobachtung zu stehen. Es war keine konkrete
Bedrohung, aber sie spürte das Unheil, als läge es in der Luft und würde mit
jedem Atemzug in ihr Inneres strömen. Sie brauchte jetzt vor allem Menschen um
sich herum, denen sie vertrauen und mit denen sie reden konnte. Mit ihrer Oma
war das nicht möglich. Die war zwar lieb, aber es gab Dinge, die sie einfach
nicht verstand.
Am Nachmittag fuhr van de Loo mit den Mädchen zu
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