Falsche Väter - Kriminalroman
einmal zu seinem Pferd auf, dann senkte er den Kopf, spuckte
den angekauten Strohhalm aus und begann still in sich hineinzuweinen.
In diesem Augenblick kam Alfons in den Boxengang. Wie stets trug er
einen schmutzigen blauen Overall und eine speckige Ledermütze. Den Spaten
geschultert, blieb er verwundert neben seinem Chef stehen.
»Hässe wat?«, fragte er nach einiger Zeit. Als keine Antwort kam,
ging er kopfschüttelnd weiter.
Moelderings blieb noch eine Weile sitzen. Als er sich einigermaßen
berappelt hatte, holte er seinen Sattel und betrat Luckys Box. Er wollte ein
letztes Mal ausreiten, um noch einmal das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu
erleben, das ihn beinahe zum Star gemacht hätte. Damals, als Jutta noch an seiner
Seite gestanden und ihn unterstützt hatte. Damals, als er arglos, glücklich und
um ein Haar erfolgreich gewesen war.
Das Pferd war ausgesprochen unruhig, und plötzlich hatte Moelderings
das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Er drehte sich mehrfach um, konnte
aber niemanden sehen. Seit den Anrufen bei Schelling und Winkens waren seine
Nerven nicht mehr die besten.
Thomas Schelling hatte ihn am Telefon gnadenlos abgewimmelt, ihm
nicht einmal bis zum Ende zugehört. Das war bei Johannes Winkens anders gewesen.
Der hatte auch mehr zu verlieren und würde auf jeden Fall reagieren. Vielleicht
rief er an und sprach eine Nachricht auf den Anrufbeantworter. Es war aber auch
möglich, dass er höchstpersönlich vorbeikam, um die Sache zu regeln. Das würde
gut zu ihm passen.
Winkens war mit allen Wassern gewaschen und schreckte vor nichts
zurück, wenn es um seine Karriere ging. Vielleicht hatte er sogar Kontakte zur
russischen Mafia. Jedenfalls war er es gewohnt, die Fäden in der Hand zu halten
und die Puppen nach seiner Regie tanzen zu lassen. Er hatte damals die
Mitglieder des Gemeinderats geschmiert, damit er auf dem billig gekauften
Ackerland Kies baggern konnte. Und dann war er selbst in die Politik
eingestiegen. Er hatte schon während des Studiums gewusst, wie man seine
Schäfchen rechtzeitig ins Trockene bringt, und dafür gesorgt, dass er sich
dabei nicht die Finger schmutzig machte. Dabei war er im Grunde ein
großmäuliger Dreckskerl, der scharf auf Jutta gewesen war und ihr bei jeder
Gelegenheit den Hof gemacht hatte.
Moelderings hatte nicht viel gegen ihn in der Hand. Nur die alten
Geschichten, die Zeitungsausschnitte und die regelmäßigen Überweisungen. Die
Sache mit dem Unfall war wahrscheinlich längst verjährt, und Winkens würde
juristisch nicht mehr belangt werden können. Aber darum ging es nicht. Die
Geschichte reichte aus, den Herrn Saubermann durch den Dreck zu ziehen. Wenn
die Sache an die Öffentlichkeit kam, war es jedenfalls mit der
Politikerkarriere vorbei.
»Ist ja gut. Schon gut!«, versuchte Moelderings Lucky zu beruhigen.
Das Pferd schien zu spüren, dass etwas nicht in Ordnung war, und ließ sich
partout nicht satteln. Es begann zu tänzeln und wurde immer nervöser.
Schließlich brachte Moelderings den Sattel wieder an seinen Platz zurück und
beschloss, später auszureiten. Er ging an den leer stehenden Boxen vorbei,
starrte auf das trostlos daliegende Stroh und hatte immer noch das Gefühl,
beobachtet zu werden.
Johannes Winkens hatte recht gehabt, als er am Telefon gesagt hatte,
das Kleeblatt habe keinem von ihnen Glück gebracht. Auf das Kleeblatt war kein
Verlass. Es war schon lange vor Theos Tod gerupft worden. Sie hatten es selbst
getan, jeder auf seine Weise, und inzwischen waren sie kein verschworener
Haufen mehr, sondern vier einsame Kämpfer. Das Unglück hatte mit dieser
verfluchten Fahrt zur Annakirmes seinen Lauf genommen. Danach hatten sie zwar
über Jahre so getan, als könnten sie die Sache mit Sonjas Hilfe wieder in
Ordnung bringen, aber in Wirklichkeit hatten sie sich nur selbst belogen. Der
Graben zwischen ihnen war immer tiefer geworden, und dann hatte Winkens sich
bei ihrem letzten Treffen am Vatertag auch noch verquatscht und vom Trick beim
Streichholzziehen erzählt. Er hatte dabei gelacht, als hätte er nur einen alten
Witz zum Besten gegeben. Für Thomas aber war es ein Schock gewesen. Er war
aufgestanden und gegangen. Einfach von der Bildfläche verschwunden. Sie hatten
zwar noch ein paarmal versucht, ihn telefonisch zu erreichen, aber immer
vergeblich. Er hatte den Kontakt zum Rest des Kleeblatts schlagartig
abgebrochen und wollte nichts mehr von den anderen wissen.
Als Hubert Moelderings auf den Hofplatz zurückkam,
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