Falsche Väter - Kriminalroman
Stallknecht, war mit Reparaturen am Zaun hinter
der Reithalle beschäftigt.
Moelderings nahm den Ordner mit den Zeitungsartikeln aus dem
Schränkchen mit den Telefonbüchern und blätterte darin herum. Als er den kurzen
Brief mit der Telefonnummer sah, die er am Rand notiert hatte, erinnerte er
sich an seine Angst. Wie lange war es her, dass er diesen Brief erhalten hatte?
Drei Jahre? Vier? Aber es war nichts weiter passiert. Der Mann, der gedroht
hatte, alles aufzudecken und sie zur Strecke zu bringen, hatte sich nie wieder
gemeldet. Und im Laufe der Zeit hatte Moelderings seine Angst vergessen.
Er schlug den Ordner zu und schob ihn unter die Telefonbücher
zurück. Ein Gefühl der Leere und Trostlosigkeit stieg in ihm auf, wie so oft,
seitdem Jutta gegangen war. Eine unbestimmbare Einsamkeit, als hätte ihm jemand
seine Seele gestohlen. Am liebsten hätte er sie angerufen, um ihr zu sagen,
dass ihm alles leidtäte und sie zurückkommen sollte. Er hatte das schon
häufiger gemacht, ohne dass sich etwas geändert hatte. Selbst als er einmal zu
heulen angefangen hatte, war sie hart geblieben. Sie hatte ihre Entscheidung
getroffen und war nicht bereit, sie zu widerrufen. Ob er wollte oder nicht, er
musste allein zurechtkommen.
Die Kaffeemaschine spuckte ein letztes Mal heißes Wasser in den
Filter, dann gab sie Ruhe. Moelderings hatte plötzlich keine Lust mehr auf
Kaffee. Er hatte auf nichts Lust. Er zog die Fellweste an, die über dem Stuhl
hing, und verließ das Wohnhaus.
Als er den Hofplatz betrat, stellten die Pferde im Innenhof die
Ohren auf. Sie kannten ihn, obwohl es sich in erster Linie um Pensionstiere
handelte. Sie brachten nicht viel ein, zumal die Preise eingebrochen waren. In
unmittelbarer Nähe gab es inzwischen eine Menge Konkurrenz, und natürlich
hatten die Kunden längst bemerkt, dass auf Gut Moelderings die Stimmung zu
wünschen übrig ließ, seitdem die Hofherrin nicht mehr da war. Sie war die gute
Seele des Betriebs gewesen, hatte für jeden ein freundliches Wort parat gehabt,
und die Mütter hatten ihre reitenden Töchter bedenkenlos in ihre Obhut gegeben.
Moelderings sog die Luft des Reiterhofes tief ein. Die Pferde
dufteten, hinzu kamen der Geruch von Heu und Stroh, der Hafer, das Kraftfutter
und nicht zuletzt der Misthaufen mitten auf dem Hofplatz.
Er ging an den Strohballen vorbei, auf denen nachmittags die Mädchen
saßen, die täglich zum Reiterhof kamen, um die Pferde zu striegeln und zu
bürsten, genauso inbrünstig und hingebungsvoll, wie sie es früher mit ihren
Puppen gemacht hatten. Er schob das Tor zum Boxenstall auf und trat in den
Gang. Unter der Decke klebten verlassene Schwalbennester. Dem Sommer blieb
nicht mehr viel Zeit. Und er selbst hatte noch weniger.
Am Wochenende hatte er sein bestes Pferd verkaufen müssen. Mit Lucky
hatte er nicht nur bedeutende Springprüfungen gewonnen, der Hengst hatte sich auch
in der Zucht bewährt und war mehrfach ausgezeichnet worden. Dennoch hatte es
nur drei Interessenten gegeben. Einer schlimmer als der andere. Sie witterten
offenbar, dass er in der Klemme steckte, denn sie hatten ihm nicht viel mehr
als die Schlachtprämie geboten. Dennoch hatte er annehmen müssen. Entweder
konnte er bald positive Kontobewegungen vermelden, oder er musste den Laden
dichtmachen. Und dann war ihm die Idee mit Winkens gekommen.
Ich hätte früher etwas unternehmen sollen, dachte er. Ich hätte Theo
fragen sollen, ob er mir unter die Arme greift. Theo war in Ordnung. Der wäre
nicht so kalt und abweisend gewesen wie die anderen. Der hätte mir bestimmt
geholfen.
Moelderings schleppte einen Strohballen vor Luckys Box, setzte sich
und sah zu seinem Lieblingspferd auf. Sie waren immer eine Einheit gewesen und
hatten sich vollkommen aufeinander verlassen können. Vor Jahren hätten sie es
beinahe in die Nationalequipe geschafft, nur ein einziger Springfehler hatte
sie scheitern lassen. Ein Fehler, den Moelderings zu verantworten hatte. Er
hatte sich zu sicher gefühlt, und das Triumphgefühl hatte ihn übermannt, sodass
er nicht auf den richtigen Abstand zum letzten Hindernis geachtet hatte. Und
dann war die Stange gefallen, und alles war mit einem Schlag vorbei gewesen.
»Tut mir leid«, sagte er leise. »War meine Schuld. Dabei waren wir
besser als die anderen. Eigentlich unschlagbar. Jetzt müssen wir uns trennen.
Sie holen dich übermorgen ab. Es geht nicht anders.«
Moelderings zog einen Halm aus dem Strohballen und kaute auf ihm
herum. Er sah noch
Weitere Kostenlose Bücher