Falsche Väter - Kriminalroman
langsam auf ihn zu.
»Lass die Finger von diesen Sachen«, sagte sie. »Die gehören dir
nicht, und du machst dir nur die Hände schmutzig!«
»Ist das noch von Franzek?«
»Nein. Das gehörte meiner Schwester Luise.«
»Hast du das hierhergebracht?«
»Ja. Franzek hat mir geholfen. Die Sachen sind angeklebt. Sie sollen
für immer da bleiben. Es soll nie vergessen werden, was Luise getan hat.«
»Und wo ist Franzek?«
»Er ist in seine Heimat zurückgekehrt. Er war nicht besonders
glücklich hier und hoffte, dort endlich zur Ruhe zu kommen.«
»Warum war er unglücklich?«, fragte van de Loo. »Lag es daran, dass
er nie richtig akzeptiert wurde?«
»Er war all die Jahre hoffnungslos in mich verliebt«, sagte Tante
Gertrud. »Er war ein guter Mensch, aber ich konnte seine Liebe nicht erwidern.«
Sie ließ sich auf einen alten Gartenstuhl fallen. Van de Loo schob
die Blechdose an ihren Platz zurück und schloss den Schrank wieder. Er ging zu
seiner Tante und setzte sich neben sie auf den Boden.
»Manchmal ist es unmöglich, jemandem zu verzeihen«, sagte Gertrud.
»Es gibt Sachen, die lassen sich nie wiedergutmachen. Wenn Luise wenigstens
darüber geredet hätte. Aber sie hat die ganze Zeit nur geschwiegen, und dann
ist sie nach Amerika ausgewandert.«
Gertrud ließ den Kopf in die Hände fallen und begann zu weinen. Sie
schluchzte wie ein Kind, und van de Loo hielt sie fest in seinem Arm, bis sie
sich wieder beruhigt hatte. Dann brachte er sie ins Haus.
Es gibt Sachen, die sich nie wiedergutmachen lassen, dachte er, als
er in die Küche kam. Im selben Augenblick musste er an Sonjas Geschichte,
Thomas Schelling und den Unfall denken.
»Ich muss noch mal los«, sagte er zu Johanna, die gerade den Teig
für ihr Wochenendbrot knetete.
»Ist es wichtig?«
»Ich glaub schon.«
»Dann fahr«, sagte Johanna und gab van de Loo einen Kuss. »Ich
hoffe, du hast Erfolg. In der Zwischenzeit mache ich das Brot fertig. Und
nachher gehe ich mit Katharina zum Friseur.«
»Und Tante Gertrud?«, fragte van de Loo.
»Anna bleibt bei ihr«, sagte Johanna. »Solange sie da ist, müssen
wir uns keine Sorgen machen.«
ACHT
Es ist 21.29 Uhr. Nur fünf Minuten sind vergangen, seitdem
die Männer ins Auto eingestiegen sind. Eine kurze Zeit. Und gleichzeitig eine
Ewigkeit.
»Guten Tag, Frau Schelling.« Van de Loo stellte vorsichtshalber
einen Fuß in die Tür. »Könnte ich Ihren Mann sprechen?«
»Mein Mann ist verreist.«
»Wirklich?« Van de Loo trat in den Flur. »Wann ist er denn
geflogen?«
»Ich habe ihn gestern nach Düsseldorf zum Flughafen gebracht. Kurz
nachdem Sie gegangen sind. Gegen siebzehn Uhr ging der Flug. Die Reise war
schon länger geplant.«
»Und wo hält er sich im Augenblick auf?«
»Er wird inzwischen wohl im Bergkloster eingetroffen sein.«
»Lässt sich das überprüfen?«
»Dafür müssten Sie schon dorthin reisen. Die Mönche lehnen alle
modernen Kommunikationsmittel ab. Sie leben wie im Mittelalter.«
»Haben Sie Beweise?«, fragte van de Loo.
»Beweise? Wofür?«
»Für die Tatsache, dass Ihr Mann tatsächlich geflogen ist und sich
dort aufhält.«
»Hören Sie! Ich habe ihn höchstpersönlich zum Flughafen gebracht.«
»Das beweist nichts! Oder haben Sie gesehen, wie er in den Flieger
eingestiegen ist?«
»Was sollen denn diese Fragen?« Frau Schelling wurde zum ersten Mal
laut. »Mein Mann hat sich sehr auf diese Reise gefreut. Er hat sich akribisch
vorbereitet und gesagt, er würde dort die letzte Stufe erreichen.«
»Welche letzte Stufe?«
»Zur Erleuchtung.«
Die letzte Stufe zur Erleuchtung, dachte van de Loo. Der Schritt ins
Nirwana, in das unangemessene Nichts. Diese Welt hinter sich lassen.
Herausspringen aus dem ewigen, quälenden Kreislauf der Wiedergeburten. Sich
endgültig befreien vom Makel, hier auf Erden zu sein und Fehler zu machen. Er
ist nicht weg, dachte van de Loo. Er vollendet sein Werk. Und er ist an einem
Ort, von dem er annimmt, dass er ihn dem Himmel näher bringt. Oder der Hölle.
»Welche Erleuchtung?«, fragte er.
»Das verstehen Sie nicht. Und ich habe keine Lust, es Ihnen zu
erklären. Lassen Sie mir jetzt bitte meinen Frieden.«
»Das werde ich nicht tun! Ich werde mir jetzt den hinteren Teil des
Hauses ansehen und einen Blick in den Garten werfen.«
»Thomas würde das nicht wollen!«
»Ihr Thomas hat jetzt gar nichts mehr zu wollen!«, sagte van de Loo.
»Der erwartet doch irgendwo seine schwachsinnige Erleuchtung!«
Er drängte Frau
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